■ Kommentar: Abrißbirne beim DGB
Das Gebäude gewerkschaftlicher Wahrheit zeigt Risse. Dieter Scholz schwingt erst seit zwei Monaten die Abrißbirne – doch er hat den maroden Mauern schon mächtig zugesetzt. Arbeit für alle durch Wirtschaftswachstum, durch mehr Technik und Innovation, wie es auch Schröders SPD unverzagt fordert? Das könne nicht mehr funktionieren, stellt der neue DGB-Vorsitzende fest – und spricht damit eine Erkenntnis aus, die seine Vorgängerin Christiane Bretz nicht einmal zu denken wagte.
Durch die Fugen im Mauerwerk blicken die Gewerkschaftsmitglieder jetzt auf eine weite, leere Fläche. Am Horizont ist nur schemenhaft das Gedankengebäude der Zukunft zu erkennen. Fragen über Fragen: Wovon soll man leben, wenn man dauerhaft keine Lohnarbeit findet? Darf ich den Anspruch stellen, daß mir der Staat ein Gehalt für meine Freizeitbeschäftigung zahlt? Wie soll eine 42jährige ausgebildete Bankkauffrau vier oder fünf Jahre ihres Lebens mit selbstgeschaffenen Tätigkeiten füllen, ohne in eine Sinnkrise zu stürzen? Wege durch die Einöde zeichnen sich zwar ab, wollen aber noch erforscht werden. Jenseits des normalen Arbeitsmarktes wird es mehr Tätigkeiten in Nachbarschaftshilfe, Betreuung und bei der Reparatur von Konsumartikeln geben – Beschäftigungen, die heute als zweitklassig abgestempelt sind. Diese Bürgerarbeiten wird die Gesellschaft mit mehr Geld bezahlen, das die Wohlhabenden stiften. Und sie werden es gerne geben, denn sonst verlieren sie alles. Wenn Dieter Scholz gut ist, schwingt er noch eine Weile die Abrißbirne – und beginnt dann mit dem Neubau. Hannes Koch
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