Kommentar: Selbstzerfleischung
■ Trittins Gelöbnis-Rede löst bei Bündnisgrünen heftige Kontroverse aus
Die Art und Weise, in der die Grünen parteiinterne Kontroversen austragen, gleicht einer Selbstzerfleischung vor laufenden Kameras. An das jüngste Schauspiel lassen sich nicht einmal Forderungen knüpfen. Souveränität ist nicht einklagbar. Sie würde dringend gebraucht, aber diese Erkenntnis allein verändert keine Persönlichkeitsstrukturen.
Da distanzieren sich also im Bundestag alle Mitglieder der Fraktion, die sich überhaupt zu Wort melden, öffentlich von Äußerungen ihres Parteivorsitzenden – ausgerechnet an einem Tag, an dem die Beilegung des jahrelangen Streits über den Einsatz der Bundeswehr in Bosnien aktenkundig wird. Einer der Kritiker von Jürgen Trittin ist immerhin Fraktionschef Joschka Fischer. Und der in die Schußlinie geratene Vorstandsspecher tut wenig später auf einer Pressekonferenz so, als sei eine politische Kontroverse ein Ehestreit. Er will die öffentliche Kritik nicht kommentieren. Parteifreunde, die ihm etwas sagen wollten, könnten ihn ja anrufen. Im übrigen habe er alles richtig gemacht.
Warum ist es für Trittin eigentlich eine so unüberwindbar große Hürde, Fehler zuzugeben? Seine Rede auf der Protestveranstaltung gegen das öffentliche Rekrutengelöbnis in Berlin fanden auch entschiedene Gegner derartiger militärischer Feierstunden geschmacklos. Die ganze Kompanie hat falschen Tritt, nur der Gefreite Trittin nicht? Das kann der Parteichef doch nicht ernsthaft glauben.
Aber auch Fraktionschef Joschka Fischer hat seiner Partei gestern wenig geholfen. Er hat den Regierungsparteien erlaubt, die Grünen vor sich herzutreiben. Seine Distanzierung vom Vorstandssprecher war deutlich, seine Verteidigung der grundsätzlichen Kritik an Gelöbnissen auf öffentlichen Plätzen ungewohnt zaghaft. Auf die Dauer wird es für den Nachweis der Regierungsfähigkeit der Grünen nicht reichen, daß sich ihr profiliertester Außenpolitiker verzweifelt darum bemüht, von den politischen Gegnern anerkannt zu werden. Ein bißchen mehr Betonung der eigenen Linie möchte schon sein.
Ein dünner Silberstreif am Horizont war gestern allein der parlamentarische Geschäftsführer Werner Schulz. Er nannte Trittins Rede „unangemessen“ – und dann verwies er die Kontroverse darüber dorthin, wo sie hingehört: angesichts einer überaus fragwürdigen Moral der Außenpolitik von Bundeskanzler Kohl in die Abteilung Wahlkampf. Bettina Gaus
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