Kommentar: Verbannung
■ Bayern will verstärkt die Eltern junger nichtdeutscher Straftäter ausweisen
In Hamburg erstechen zwei 16jährige einen Ladenbesitzer. Beide sind bereits einschlägig aufgefallen, auch Pädagogen konnten sie nicht an ihrer Gewalttat hindern. In München geht ein gerade strafmündig gewordener 14jähriger auf Raub- und Diebestour. Den Eltern und Jugendbehörden ist der Junge entglitten. Zwei Beispiele für das gleiche ungelöste Problem, ein Unterschied. In Hamburg heißen die Täter Christoph und Patrick, in München Mehmet. Der fremde Name liefert eine befremdliche Lösung: die Verbannung des Problemverursachers samt seinen Eltern. Mehmets Familie soll in ihr Herkunftsland zurück, das sie vor 30 Jahren verließ. Geht es nach dem Willen der Bayerischen Staatsregierung, soll es künftig viele Mehmet-Familien geben.
Wahlkampfzeit ist Narrenzeit. Jeder darf ungestraft alles von sich geben – Ungeheuerliches und ungeheuerlich Dummes. Nur anders als im Karneval bleibt hinterher immer etwas hängen – und sei es nur brauner Dunst. Auch der bayerische Vorstoß, Eltern junger nichtdeutscher Straftäter auszuweisen, hat wenig Chancen, jemals Gesetz zu werden. Aber er funktioniert als Treibmittel für den neuen Trend bundesdeutscher Ausländerpolitik: polarisieren statt integrieren. Schon jetzt werden Jugendliche, die in Deutschland laufen und lesen gelernt haben, wieder zu Ausländern, wenn sie hier auch klauen und dealen gelernt haben. Wie unerwünschte Ware werden sie ins vermeintliche Herstellerland zurückexpediert. Inzwischen produziert der Wahlkampf weitere Exportideen: Asylbewerber ohne die rechte politische Gesinnung postwendend retour schicken, Ausländern, die falsches Deutsch sprechen, die Sozialhilfe kürzen, auf daß sie sich dann selbst exportieren.
Aus den Augen, aus dem Sinn. Mit diesem Wahlspruch kann man vielleicht Wahlen gewinnen, aber keine gesellschaftlichen Probleme lösen – nicht den konfliktbeladenen Integrationsprozeß und nicht die hausgemachte Desorientierung und Brutalisierung eines Teils der Jugend. Der 14jährige Mehmet ist das beste Beispiel dafür: Seine Eltern hätten längst ihren türkischen gegen den deutschen Paß eintauschen können, die Hilflosigkeit angesichts der Raubzüge des Sohnes wäre die gleiche geblieben.
Nur wäre es Mehmets Eltern ergangen wie denen von Christoph und Patrick: Man erfährt nicht einmal, daß es sie gibt. Vera Gaserow
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