■ Kommentar: Schönbohms Gegenspieler
Als SPD-Justizsenator Ehrhart Körting im November 1997 sein Amt antrat, hoffte die SPD, daß der als liberal geltende Verfassungsrichter ein Gegenspieler zu Innensenator Jörg Schönbohm (CDU) wird. Die Erwartung hat Körting eingelöst, nur anders als gedacht. Auf dem Gebiet der Inneren Sicherheit war Körting ein unbeschriebenes Blatt, doch längst macht er den Christdemokraten das Revier streitig. Die Taktik lautet: Terrain gewinnen durch die Übernahme gegnerischer Positionen. Auf Bundesebene hat dies SPD-Rechtspolitiker Otto Schily eindrücklich vorgemacht.
In der vergangenen Woche vollzog Körting bei der Bekämpfung der organisierten Kriminalität den Schulterschluß mit Innensenator Schönbohm. Gestern bezeichnete er Graffiti als „sozialschädlich“ und berief sich dabei ausgerechnet auf die „broken window“-Theorie von US-Wissenschaftlern, wonach ein kaputtes Fenster weiteren Vandalismus und Kriminalität nach sich zieht. Die Theorie machte sich der frühere New Yorker Polizeichef William Bratton für sein Konzept der Null-Toleranz zunutze. Daß Körting mit solchen Vorstößen dem Koalitionspartner das Wasser abgraben könnte, offenbarte eine Bemerkung von Diepgen-Sprecher Michael Butz: Dem Regierenden Bürgermeister sei der Kampf gegen Graffiti ein persönliches Anliegen, versuchte er, das Thema nicht der SPD zu überlassen.
Schily und Körting wurden beide durch die 68er geprägt, beide haben ihre Positionen zum Teil revidiert. Sie befürworteten den Großen Lauschangriff. Körting glaubt inzwischen an den pädagogischen Wert der Bestrafung jugendlicher Straftäter. Zwar muß man Körting zugute halten, daß er sich für die Ausgabe von Spritzen im Knast und für Druckräume für Junkies stark macht, doch es überwiegt die Aufgabe liberaler Positionen in der Rechtspolitik. Die SPD folgt damit gesellschaftlichen Tendenzen, anstatt ihnen entgegenzutreten. Soviel Populismus ist enttäuschend. Dorothee Winden Bericht Seite 22
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen