Kommentar: Neuwahlen als Neuanfang
■ Die Große Koalition ist ein Auslaufmodell
Nach dem CDU-Chaos der letzten Tage wären vorgezogene Neuwahlen die beste Lösung. Für die Stadt böten sie die Chance zu einem klaren Neuanfang. Eine dermaßen geschwächte Große Koalition hat nicht mehr die Kraft, die wichtigen Zukunftsprojekte voranzutreiben, und ihr bleibt auch kaum noch Zeit – spätestens ab dem Sommer nächsten Jahres beginnt ohnehin der Wahlkampf. Noch ein Jahr Hängen und Würgen ist der Stadt nicht zuzumuten. Die Große Koalition ist ein Auslaufmodell.
Auch wenn es dem CDU-Führungsduo Eberhard Diepgen und Klaus Landowsky gelänge, die schwierigen Personalfragen der CDU zu lösen, wird es sich um das letzte Aufgebot handeln. Doch mit einer B-Mannschaft sind die Probleme Berlins nicht zu lösen und für die Neuen im Senat das verbleibende Jahr zu kurz, um wirklich noch etwas zu bewirken.
Was lange verdeckt blieb, ist jetzt offenkundig: Die CDU-Senatoren bieten ein desolates Bild, ausgenommen Kultursenator Radunski. Fachlich waren Verkehrssenator Jürgen Klemann und Gesundheitssenatorin Beate Hübner schon immer die Schwachstellen im Senat. Zuletzt hatte auch der amtsmüde Wirtschaftssenator Elmar Pieroth nichts mehr bewegt. Der fahnenflüchtige Innensenator Schönbohm ist da nur das Tüpfelchen auf dem i. Die Christdemokraten haben abgewirtschaftet.
An Neuwahlen kann die angeschlagene Partei aber kein Interesse haben. Die CDU liegt nach dem vernichtenden Ergebnis der Bundestagswahl am Boden. Demoralisiert aus dem Stand in einen Wahlkampf zu ziehen, ist in einer ohnehin schon ungünstigen Ausgangssituation fatal. Neuwahlen wird es daher nur geben, wenn das Krisenmanagement von Diepgen/ Landowsky versagt und es keinen anderen Ausweg mehr gibt. Denn ohne die CDU-Stimmen kommt im Abgeordnetenhaus die erforderliche Zweidrittelmehrheit für vorgezogene Neuwahlen nicht zustande.
Auch die SPD muß darauf bedacht sein, daß die Öffentlichkeit Neuwahlen allein auf das Scheitern der CDU zurückführt. Zu groß ist sonst die Gefahr, daß die Wähler auch der SPD einen Denkzettel für die scheinbar mangelnde Zuverlässigkeit erteilen. SPD und Grüne hätten bei Neuwahlen gute Chancen, eine Mehrheit für ein rot-grünes Bündnis zu erzielen. In vielen Fragen besteht ein großer Vorrat an Gemeinsamkeiten. Für einen Schlußstrich nach acht Jahren Großer Koalition ist jetzt der richtige Zeitpunkt. Dorothee Winden
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