Kommentar: Ohne Not
■ Bei der Schleierfahndung tappt die SPD in die repressive Falle
Selbstverständlich haben die SozialdemokratInnen dem Druck der CDU nachgegeben, auch wenn sie das bestreiten. Die Tür zur Schleierfahndung ist offen, die Kontrollen werden angewendet. Und selbst wenn man im Zehlendorfer Himmelsteig dann doch nicht lagebedingt kontrolliert werden kann, ändert das an der politischen und überwachungstechnischen Konsequenz herzlich wenig. Aber diese Erkenntnis erfordert kein politologisches Studium.
Das allerdings scheint nötig, um zu verstehen, warum um Himmelswillen die SPD jetzt nachgibt. Ganz ohne Not. Not hat die Berliner CDU, die beweisen muß, daß ihr gefallenen Star der repressiven Innenpolitik, Jörg Schönbohm, eine würdige Nachfolge findet. Das tun die ChristdemokratInnen, und die Rolle der CDU wird die SPD darin nicht übernehmen können. An der ordnungspolitischen Konsequenz der Berliner SPD indes zweifeln die WählerInnen deshalb noch lange nicht.
Die Bundestagswahlen haben gezeigt, daß nicht die Sicherheitspolitik im Zentrum des BürgerInneninteresses steht. Zwar ist Berlin natürlich immer ganz anders. Aber daß auch in der kommenden Abgeordnetenhauswahl die soziale Lage im Mittelpunkt stehen wird, hat auch die CDU längst erkannt, verkündet und umgesetzt.
Die SPD, sollte sie die Vereinbarung ihrer InnenpolitikerInnen folgen, tappt mal wieder in die Falle. Auch die Erkenntnis, daß soziale Deregulierung seit Jahren durch eine massive Anhebung der ordnungspolitischen Regulierung ersetzt wird, ist keine allzu neue. Doch offenbar setzt die SPD diese Erkenntnis nicht um. Statt dessen gestattet sie der CDU den Triumph, ihre uralte Forderung nach der Verschärfung des Polizeigesetzes durchzusetzen, und macht möglich, was Dieter Schenk, ausgeschiedener Chef des Landeskriminalamts und seines Zeichens Sozialdemokrat, kürzlich beim Bund der Kriminalbeamten prophezeite: „Wenn ich demnächst von Berlin nach München fahre, werde ich öfter kontrolliert werden, als in der Zeit vor der Gründung des Deutschen Zollvereins.“ Wer in der jüngeren Vergangenheit einmal in der bayerischen Hauptstadt weilte, wird wissen, daß Schenks Befürchtung mitnichten bloße Schwarzmalerei ist. Barbara Junge
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