Kommentar: Mal wieder der Falsche
■ Brandenburgs Justizminister Bräutigam bat um seine Entlassung
Only the good die young – es ist ein Kreuz mit der politischen Verantwortung! Der Justizminister Brandenburgs, Hans Otto Bräutigam, hat seinen Ministerpräsidenten Manfred Stolpe (SPD) gestern um seine Entlassung gebeten, und zwar vor der überraschenden Festnahme des geständigen Geiselnehmers Sergej Serow, der in einer spektakulären Flucht aus der Justizvollzugsanstalt Potsdam entkommen war. Stolpe lehnte den Rücktritt ab, bis heute morgen wollte sich Bräutigam entscheiden, ob er dennoch geht.
Doch einerlei, ob er nun bleibt oder seinen Hut nimmt: Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, daß es mal wieder den Falschen getroffen hätte. Einer muß die Verantwortung für die tragikomische Flucht Serows tragen, und es spricht für Bräutigam, daß er als zuständiger Ressortchef kein Bauernopfer suchte, sondern sich selbst haftbar machte.
Aber es bleibt der schale Beigeschmack, daß da jemand zum Rücktritt bereit war, weil er, trotz gegenteiliger Bekundungen, als parteiloser Minister keinen starken Rückhalt in der Regierungspartei hatte, gehalten bloß durch seine Kompetenz und den Schutz seines Ministerpräsidenten – der trotz allzu großer Nähe zur Stasi beharrlich auf seinem Stuhl klebt.
Keine Frage, Bräutigam hat Fehler gemacht: Seit Jahren plagt sich Brandenburg mit zu kleinen, zu alten und zu vollen Gefängnissen. Aber das lag vor allem an der Geldnot im Land. Weitere Millionen in so unschöne Dinge wie alte DDR-Knäste zu stecken war politisch nicht durchsetzbar.
In Zukunft werden sich deshalb beide, Bräutigam und Stolpe, darum mühen müssen, den schwierigen Balanceakt zu vollbringen, daß zwar die wirklich schweren Jungs sicher weggeschlossen bleiben, dabei aber die harmlosen Gelegenheitstäter nicht jede Möglichkeit verlieren, sich im Knast auf die Zeit danach vorzubereiten.
Die Gefängnisse brauchen demnach Geld, für Sozialmaßnahmen hinter den Gittern einerseits wie für mehr Sicherheit vor Ausbrüchen andererseits. Wer einen modernen Strafvollzug will, kriegt ihn nicht zum Nulltarif.
Und was ist daraus zu lernen? Die Mittelmäßigen, die Aussitzer, die Parteikungler sind in der Politik am Ende fast immer die Sieger. Das macht das politische Leben langweiliger, die Entscheidungen schlechter. Respekt also für Bräutigams Rücktrittsgesuch – Stolpe sollte sich ein Beispiel nehmen. Philipp Gessler
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