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KommentarGewaltloses Agieren, gewaltsames Sterben

■ Galina Starowojtowa und Martin Luther King

Der Mord an Galina Starowojtowa hat viel gemeinsam mit dem Mord an Martin Luther King. Beide starben gewaltsam in einer Gesellschaft, in der die Gewalt zum Alltag gehört. In der gegenwärtigen Legislaturperiode des russischen Parlamentes kamen bereits sechs seiner Deputierten durch Auftragsmörder um – und allein in diesem Jahr fünf Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens in Sankt Petersburg. Obgleich die russische Gesellschaft gegen die alltägliche Grausamkeit schon abgestumpft ist, hat sie dieser letzte Mord doch aus ihrem Winterschlaf gerüttelt. In demokratischen Kreisen herrscht Alarmstufe eins. Genau wie in den USA nach dem Mord an King.

Die beiden prominenten Opfer setzten sich für die Unterprivilegierten ein. Als größtes Übel betrachteten sie solche Justizbehörden, die Bürger mit zweierlei Maß messen – je nach ihrer Herkunft. Dabei war es für beide wichtig, sich mit ihren Methoden im Rahmen des Gesetzes zu halten und gewaltlos vorzugehen. Beide waren unkorrumpierbar. Die Ethnologin Starowojtowa suchte nach Wegen, ein friedliches Zusammenleben der Völker und Religionsgemeinschaften Rußlands zu ermöglichen. In letzter Zeit legte sie sich mit den Antisemiten in der kommunistischen Fraktion an. „Es gibt keinen dritten Weg für Rußland“, sagte sie, „nur die Wahl zwischen einer westlichen Demokratie mit allen Garantien für die Minderheiten und dem Faschismus.“

Die Faschisten des Landes haben mehr als einmal versucht, diese unbequeme Politikerin zu beseitigen. „Während des Putsches 1991 war ich die Nummer sieben unter jenen, die die Putschisten verhaften wollten“, berichtete sie und fügte hinzu: „Wenn sie aber erneut an die Macht kommen, dann werden sie sich nicht mehr mit Kinkerlitzchen wie Verhaftungen abgeben, dann werden sie uns an Ort und Stelle erschießen.“

So gesehen ist diese Gewalttat ein Test für die russische Demokratie. Galina Starowojtowa hat ihr Leben geliebt, und sie war bereit, für die Demokratie etwas zu wagen. Ob sich dieses Risiko gelohnt hat, werden die nächsten Monate zeigen. Die Antwort hängt davon ab, ob auch dieser Mord ungeklärt bleibt wie alle vorhergehenden. Und davon, ob Rußland es vermag, seinen Minderheiten wenigstens institutionelle Garantien zu schaffen, wie es die USA im Jahrzehnt nach dem Mord an King vermochten. Barbara Kerneck

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