Kommentar: Blauäugig
■ Schily will islamischen Religionsgemeinschaften den Status von Kirchen geben
Am liebsten tun sie es am Wochenende. Da lassen sich die Vertreter der neuen Regierung von der Journaille im Schweinsgalopp durch die Konfliktfelder dieser Gesellschaft jagen. Noch bevor die Journalistenfragen richtig verdaut sind, stehen schon die Fast-food-Antworten der Politiker auf dem Papier. Da stellt Menschenrechtsbeauftragter Poppe, mal eben so, einen „für alle Beteiligten zufriedenstellenden Kompromiß“ mit dem Iran in Aussicht über den Austausch der Mykonos- Attentäter. Einen Tag später erklärt Otto Schily auf acht knappen Focus-Zeilen, er sei nicht abgeneigt, islamischen Religionsgemeinschaften den öffentlich-rechtlichen Status von christlichen Kirchen zu geben.
Auf den ersten Blick eine sympathische Antwort – tolerant, unideologisch, grundsätzlich richtig. Auf den zweiten Blick ist die Antwort blauäugiger, als die Realität erlaubt. Daß die größte religiöse Minderheit in Deutschland, die Gemeinschaft der Muslime, bisher nicht den gleichen rechtlichen Status wie die christlichen Kirchen oder auch die Jüdische Gemeinde hat und damit – wichtiger Effekt – auch keine Kirchensteuer bei ihren Mitgliedern erheben kann, liegt nicht am mangelnden guten Willen einer Bundesregierung. Die fehlende öffentlich-rechtliche Repräsentanz des Islam ist hausgemacht.
Weil die islamische Gemeinde so zersplittert und so konkurrent untereinander ist, kann bis heute keiner ihrer vielen Zusammenschlüsse auch nur annähernd in Anspruch nehmen, die Muslime in Deutschland zu vertreten. So werden sich auch in naher Zukunft kaum verbindliche, vertrauenswürdige Ansprechpartner finden, und deutsche Stellen seien gewarnt, krampfhaft danach zu suchen. Sie werden zu leicht die falschen finden.
Der jüngste Etappensieg der Islamischen Föderation in Berlin, die sich den Zugang zum schulischen Religionsunterricht gerichtlich erkämpfte, zeigt die Gefahr. Erste Anwärter auch für die Rolle als islamische Religionsgemeinschaft könnten vor allem konservativ-fundamentalistische Gruppen sein. Sie beherrschen die formale und juristische Klaviatur, an der sich die deutsche Bürokratie gern orientiert. Die der extremistischen Milli Görus nahestehende Islamische Föderation hat bereits den Status einer Religionsgemeinschaft beantragt. Aus einer politisch fragwürdigen Gruppierung würde dann, dank deutscher Hilfe, eine finanzkräftige Organisation. Will Schily das? Vera Gaserow
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