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KommentarFrontstadt-Populismus

■ PDS-Ausgrenzung schadet dem Rechtsstaat

Welch ein Glück, daß die „große“ Koalition noch immer über eine knappe Zweidrittelmehrheit verfügt: Sie kann die Wahl der Verfassungsrichter, die den Senat doch eigentlich kontrollieren sollten, allein ausmauscheln. Bisher überließen CDU und SPD den nahestehenden Parteien, also den Grünen und einst der FDP, je einen Posten im neunköpfigen Richtergremium – auf dem Gnadenwege.

Bislang waren die Oppositionsparteien klein genug, daß das d'Hondtsche Höchstzahlverfahren diesen Kungeleien den Schein des Proporzes verlieh. Inzwischen ist aber die PDS, nicht zuletzt dank derlei Ausgrenzungsstrategien in Berlin und Bonn, so groß geworden, daß sie einen Verfassungsrichter stellen dürfte. Flugs ersteht im Wahlkampf der alte Frontstadt- Populismus wieder auf. Die CDU wähnt schon den Verfassungsfeind im Verfassungsgericht, und die SPD fürchtet in diesen Tagen nichts so sehr, als bei einem noch so flüchtigen Flirt mit der PDS ertappt zu werden.

Gewiß: Nicht jeder demokratische Sozialist stellt den Rechtsstaat an die Spitze seines Wertekanons. Dieses Phänomen jedoch, Umfragen belegen es, ist auch außerhalb der PDS im Osten weit verbreitet. Doch langfristig wird den Rechtsstaat nur akzeptieren, wer sich von seinen Institutionen auch repräsentiert fühlt. Eine Partei aus dem Verfassungsgericht auszusperren, die bei der letzten Wahl in allen Ostbezirken die meisten Stimmen errang, ist aber eine krasse Mißachtung des Volkswillens.

Anders als die Mehrheitsparteien jetzt suggerieren, müßten sie schließlich nicht jeden beliebigen Kandidaten wählen. Das Brandenburger Beispiel beweist: Eine Kandidatin wie Daniela Dahn, die – bei allen sonstigen Verdiensten – rechtsstaatliche Verfahren offenbar für zweitrangig hält, kann man immer noch abblitzen lassen. Eine solche Auseinandersetzung mit der Person erfordert aber eine öffentliche Debatte über die Besetzung der Richterposten. CDU und SPD ziehen den diskreten Postenschacher vor – in Berlin wie in Bonn, wo noch nicht einmal das Plenum über das Karlsruher Personal abstimmen darf. Damit schaden sie dem Ansehen des Gerichts weit mehr als mit der Wahl eines Richters von der PDS. Ralph Bollmann

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