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KommentarMauer im Kopf

■ Klemann will Mauerstreifen fälschen

Beinahe zehn Jahre nach dem Fall der Mauer ist der Blick von Bausenator Jürgen Klemann (CDU) zur Erinnerung an den Verlauf des Betonwalls noch immer vermauert. So will der Bausenator zwar die restlichen Teile des Bollwerks am Leipziger Platz erhalten. Doch sollen die 39 Segmente nicht an der originalen Stelle belassen werden, sondern per „Translution“ auf eine Grünfläche gegenüber auf den Potsdamer Platz wandern – dorthin, wo früher die westliche Seite der Mauer verlief. Für Klemann ist das kein Problem, macht es doch keinen Unterschied, daß es eine östliche „Hinterlandmauer“ und die „richtige“ Mauer gab. Mauer ist Mauer.

Absurd an der Verschiebungsaktion ist nicht nur, daß die geplante Stichstraße zum Leipziger Platz auch an anderer Stelle eingerichtet werden könnte. Nicht von der Hand zu weisen ist ebenso, daß mit der Umsetzung der Segmente ein Stück Authentizität verlorengeht und uns später weisgemacht werden soll, die Mauerreste hätten am Potsdamer Platz gestanden. So radiert man Geschichte aus und konstituiert Mythen.

Was jedoch besonders schmerzt, ist die Gedankenlosigkeit, mit der Jürgen Klemann das Phänomen der Mauer insgesamt behandelt. Nämlich einseitig, aus typischer Westsicht. Denn für den Bausenator zählt nur jener poppig bemalte Wall, der West von Ost trennte. Dort endete die Welt, dahinter begann Sibirien. Was die östliche Hinterlandmauer war, daß sie ebenso betoniert worden war, eine Grenzlinie bildete, sichtbar, gefährlich, bewacht und grausam war, ist für Klemann marginal. Sie scheint weder ein Dokument noch wert, sie als Erinnerung zu erhalten. Vielleicht weiß der Bausenator nicht, daß für die Ostberliner nur dieser Teil des Bollwerks zählte. Möglich, daß man es ihm nur zu sagen brauchte.

Viel ändern im Umgang mit der Mauer-Erinnerung wird dies wohl kaum, reiht sich doch Klemanns Perspektive ein in die anderer einseitiger Mauer-Gedenk-Aktionen. Bei der Zeichnung des Mauerstreifens hat der Senat natürlich die Westlinie markiert. Und auch die East Side Gallery wurde als Hinterlandmauer durch Bemalung westlich verpoppt. Eine Fälschung mehr kommt nun hinzu.

Rolf Lautenschläger Seite 22

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