Kommentar: Ohne Puffer
■ Gerhard Schröder kann nun tun, was er will – aber was will er?
Nun wird der Kanzler also durchmarschieren. Der alte Rivale Oskar Lafontaine ist weg, und der Modernisierer Gerhard Schröder kann endlich tun, was er will. Einziges Problem: Dafür muß er etwas wollen. Der Finanzminister hatte den Wunsch, die Macht für die Politik von der Wirtschaft zurückzuerobern, und ist damit gescheitert. Gerhard Schröder scheint nicht einmal diesen Wunsch zu haben. Das macht seinen Handlungsspielraum aber noch nicht größer.
Der Bundeskanzler hat in der ihm eigenen unbefangenen Art den Rückgang der Arbeitslosigkeit zum alleinigen Maßstab für den Erfolg der Regierung erklärt und dem Bündnis für Arbeit besondere Bedeutung eingeräumt. Derlei Äußerungen sind geradezu eine Einladung an die Industrie, dem Regierungschef immer dann mit Abbruch der Gespräche zu drohen, wenn die Koalition sich nicht willfährig zeigt. Die Einladung ist angenommen worden. Schröder droht erpreßbar zu werden.
Er selbst sieht sich in der Rolle des Moderators. Einer, der vermitteln will, braucht dafür aber andere, deren Positionen er jeweils für überzogen erklären kann. Lafontaine ließ sich leicht als Sündenbock denunzieren – öffentlicher Widerspruch kam ihm in seiner Rolle als Minister nicht zu. Jetzt hat Schröder keinen Puffer mehr. Alle Fehler und Pannen der Regierung gehen künftig allein auf sein Konto.
Die SPD hatte im letzten Jahr faktisch die Doppelspitze, über deren mögliche Abschaffung Bündnis 90/Die Grünen in den eigenen Reihen gerade streiten. Sozialdemokraten, die angesichts von vier Millionen Arbeitslosen keine Illustriertenfotos ihres Kanzlers in Edelkleidung sehen wollten, wurden bisher durch einen Parteichef mit dem richtigen Stallgeruch bei der Stange gehalten. Jetzt muß Schröder es alleine schaffen, die Programmatik der Partei mit seinem eigenen Profil zu verbinden.
Vielleicht geht der Kanzler langfristig tatsächlich gestärkt aus dem neuen Spiel der Kräfte hervor. Aber wenn ihm die jetzt notwendige Integrationsleistung gelingen soll, dann wird auch er sich ändern müssen. In der Übergangszeit ist er schwächer als zuvor. Ein geschickt agierender Koalitionspartner kann diese Zeit nutzen, um den eigenen Einfluß zu vergrößern. Eine Rückschau auf die letzten Monate bietet allerdings wenig Anlaß zur Hoffnung auf derlei Geschick bei den Grünen. Bettina Gaus
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