piwik no script img

KommentarKein Grund zur Trauer

■ Volksuni stirbt nach langem Siechtum

Die OrganisatorInnen lügen sich munter in die Tasche. Nur dieses eine Mal, so versichern sie, solle die Volksuni ausfallen. Für eine Wiedergeburt im Jahr 2000 könne ein solcher Verzicht „motivierend wirken“.

Die Wahrheit ist: Die Volksuni ist tot. Wenn schon der Jugoslawien-Krieg als Motivationsschub nicht ausreicht, was sollte das Projekt sonst von seinem Siechtum erlösen?

Nach dem Fall der Mauer war das große Pfingst-Palaver mehr und mehr zu einer Art Seniorentreffen verkommen. Obwohl sich der Ort des Geschehens in die Ostberliner Humboldt-Universität verlagert hatte, trafen sich weiter ganz überwiegend Westberliner Altlinke zum politischen Kaffeekränzchen, um einen verklärenden Blick auf vergangene Zeiten zu werfen und noch einmal ein bißchen „Bewegung“ zu spielen.

Bei so viel rührseliger Wiedersehensfreude fiel es den alternden Damen und Herren überhaupt nicht mehr auf, daß sich die Jugend von Jahr zu Jahr rarer machte. Die meisten schoben das Phänomen wohl auf eine vermeintlich unpolitische Haltung der jüngeren Generation – und fühlten sich in ihrem Selbstwertgefühl nur noch bestätigt.

Sie merkten daher nicht, daß das Programm immer mehr Selbstbespiegelung und immer weniger relevante Zeitfragen enthielt. Die Gründergeneration des Pfingsttreffens glaubt wohl bis heute, schon das Wort „Volksuni“ müsse jedermann in einen Zustand der Verzückung versetzen.

Wenn die OrganisatorInnen nun statt der früheren „Politikvorschläge für eine rot-grüne Reformmehrheit“ nun die „Reformulierung einer linken Opposition gegen Rot-Grün“ auf ihre Fahnen schreiben, dann zeugt auch das von einer reichlich formalen Betrachtungsweise: Opposition als leeres Ritual.

Neue Zeiten erfordern neue Formen der politischen Debatte. Institutionen, die sich nicht als wandlungsfähig erweisen, gehen unter. Das ist nicht gut und auch nicht schlecht, sondern einfach nur der Lauf der Geschichte, der Sentimentalitäten nicht kennt.

Zur Häme besteht kein Anlaß, aber zu überbordender Trauer gewiß auch nicht. Ralph Bollmann

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen