Kommentar: Triumph der Nichtpolitik
■ Bremen: Entpolitisierung auf dem Gipfel
Obwohl jeder wußte, daß in Bremen über die rot-grüne Bundesratsmehrheit entschieden wird, stand dieser Aspekt nicht im Zentrum der Kommentare. Staunend verbreiteten sich die Meinungsmacher der Republik vielmehr darüber, wie SPD-Spitzenkandidat und Regierungschef Henning Scherf seinen Wahlkampf damit bestreiten konnte, nicht gewinnen zu wollen. Nun wird alle Welt rätseln, wie der radikal entpolitisierte Wahlkampf der Bremer SPD zu einem solchen Wahlsieg führen konnte.
Ist der mutige Schritt, keine politischen Wahlaussagen mehr zu machen, vom Wähler belohnt worden, weil er eh keinem Wahlprogramm mehr traut? „Think positive!“ – das ist schließlich die Rettungsformel in unserer depressiven Welt. Das inhaltslose Versprechen, alle positiven Kräfte zusammenzufassen, ist tröstlicher als die Leerformel, Arbeitsplätze zu schaffen. Markiert Bremen die längst fällige Abkehr von programmatischer Politik und den endgültigen Sieg sanft-vager Sympathiewerbung?
Gemach. Bevor wir zynisch über den eingelullten Henning-Wähler spotten, sollten wir prüfen, ob sich Bremens Wähler nicht doch politisch verhalten haben. Schließlich weiß jeder halbwegs aufgeklärte Bremer, daß der Zwei-Städte-Staat aus eigenem Steueraufkommen nicht zu sanieren und Außenhilfe nicht in Sicht ist. Die paradoxe Situation, daß Bremen nicht länger sein kann, was es ist, aber auch nichts Neues werden kann, paralysiert die Politikerhirne.
Was sollen sie dem Wähler denn versprechen? Die Entschuldung Bremens? Einwohnerwachstum? Abbau der Arbeitslosigkeit? Mehr Geld und junge Lehrer für die Schulen? Die Liste der unmöglichen Notwendigkeiten ist lang – aber gepumptes Geld kommt bald ans Ende und mit ihm auch die Politik. Weil das der Wähler weiß, wagt kein ernsthafter Politiker, ihm weiter die Lösung der Bremer Probleme zu versprechen. Wer es dennoch tut, wird nicht gewählt.
Nein, Bremens Wähler sind auf niemanden hereingefallen. Sie sind Realisten, die die Lage ihres kleinen Bundeslandes richtig einschätzen. Henning Scherf mit seiner abgekämpften und domestizierten Bremer SPD regiert Bremen unter den gegebenen Verhältnissen schon richtig und hat auch den richtigen Wahlkampf geführt. Horst-Werner Franke, Bremer Bildungssenator a. D.
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