piwik no script img

KommentarRationalität auf Zeit?

■ Der Westen darf Rußland nicht mehr brüskieren

Bei den Verhandlungen über die Sicherung des Friedens im Kosovo werden Rußland und der Westen noch einige Hürden nehmen müssen, bis sie sich endgültig einigen. Dennoch bleibt festzuhalten, nicht die Bomben wendeten das Blatt, es war das taktische Geschick Wiktor Tschernomyrdins, der Miloevic in die Knie gezwungen hat und damit dem Frieden zum Durchbruch verhalf. Jelzins Balkan-Emissär hat damit allen Beteiligten einen großen Gefallen getan. Er bewahrte die Mitgliedsstaaten der EU untereinander und im Verhältnis zur USA vor drohenden Dissonanzen. Gleichzeitig zeigte er den Europäern die Notwendigkeit auf, ernsthaft an einem europäischen Sicherheitssystem zu arbeiten. Selbstverständlich müßte Moskau darin einen gebührenden Platz einnehmen.

Überdies hat Jelzins Sonderemissär seinem Land einen großen Dienst erwiesen, indem er Zweifel ausräumte, ob Rußland überhaupt mehr als nur geographisch zu Europa gehöre. Zu Hause sind Tschernomyrdin daher seit den entscheidenden Verhandlungen in Belgrad vor einer Woche nur Demütigungen widerfahren. Die nationalistische und kommunistische Opposition forderte nicht nur den Präsidenten durch eine Resolution in der Duma auf, seinen Beauftragten zu entlassen, sie verlangte sogar eine Untersuchung, inwieweit sich der „Sonderverräter“ an nationalen Interessen vergangen habe. Für den Kommunisten Sjuganow, der vom Büro aus „bis zum letzten Serben kämpfen“ wollte, steht das Urteil vorab fest, nicht jedoch die Strafe: sibirische Verbannung oder Tod. Auch das Militär und Kreise des Außenministeriums bewegen sich im Dunstkreis dieses geistigen Vermächtnisses.

Das sollte dem Westen Warnung und Verpflichtung zugleich sein. Immerhin unterstützte eine knappe Mehrheit der Russen Tschernomyrdins Friedensbemühen, obwohl die Sympathie eher den Serben gehört. Die „pseudopatriotischen“ – im Wesen bellizistischen und isolationistischen – Parolen haben der Mehrheit noch nicht die Sinne vernebelt. Das kann sich aber bei erneuten Brüskierungen aus dem Westen im Wahljahr schnell ändern. Jetzt, nachdem die Russen seit langem mal wieder eine rationale Entscheidung getroffen haben, die dem langfristigen nationalen Interesse Moskaus tatsächlich dient, sollte man sie nicht enttäuschen. Klaus-Helge Donath

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen