Kommentar: Gruppentherapie
■ Nach dem Parteitag bleibt für die SPD viel zu tun
Endlich, so scheint es, ist der Berliner SPD wieder etwas geglückt. Auf ihrem Parteitag haben die Genossen am Wochenende Geschlossenheit demonstriert und aufmunternde Reden gehört. Und die allermeisten Delegierten zeigten sich vom Auftritt des Spitzenkandidaten beeindruckt.
Doch selbst wenn Walter Momper die Partei wirklich aufgerüttelt hat – für einen Aufschwung in der Wählergunst reicht eine solche Gruppentherapie noch nicht. Jetzt kommt es darauf an, die neue Linie der Partei auch nach außen zu kommunizieren. Dafür aber genügt es nicht, bis ins kleinste Detail wirkliche oder vermeintliche SPD-Erfolge in der Koalition aufzulisten. Attacken gegen den populären Regierungschef Eberhard Diepgen werden der SPD sogar eher schaden, solange sie keine Wechselstimmung erzeugen kann wie weiland gegen Kohl.
Nachdem es zuerst schien, als wolle die Partei ihre erfolgreiche Finanzpolitik im Wahlkampf eher in den Hintergrund rücken, hat sie das Ruder jetzt entschieden herumgerissen – und den Sparkurs im Land wie im Bund auf ihre Fahnen geschrieben. Sie hatte keine andere Wahl, schließlich hat es außer der CSU in Bayern noch keine Partei geschafft, einen Wahlkampf frontal gegen die eigene Bundesregierung zu führen.
Mit einer Mischung aus Bangen und Hoffen warten die Genossen auf den September. Dann wird im Bundestag das Sparpaket der rot-grünen Regierung debattiert – und zwar in Berlin. Der Einfluß der Bundespolitik auf die politische Stimmung im Land wird sich durch den Umzug enorm vergrößern, im Guten wie im Schlechten.
Gleichwohl wäre die Berliner SPD schlecht beraten, wenn sie während des Sommers die Hände in den Schoß legte. Noch bleibt sie in der Wählergunst weit hinter der Bundespartei zurück. Diesen „Berlin-Malus“ muß sie im Wahlkampf abbauen. Die CDU hat vorgemacht, wie man mit Werbefeldzügen das Image eines drögen Kandidaten verjüngen kann.
Auf Gerhard Schröder alleine darf sich die SPD jedenfalls nicht verlassen. Denn die Uhr des Kanzlers tickt anders: Er hat noch drei Jahre Zeit, um für den neuen Kurs zu werben. Seinen Berliner Genossen bleiben nur noch drei Monate. Ralph Bollmann
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