Kommentar: Notwendige Debatte
■ Klimmts Angriff auf Schröders Politik war überfällig
Wumm. Eine solche Breitseite, wie sie nun ausgerechnet von einem Parteifreund des Kanzlers kommt, hat bisher überhaupt noch niemand auf Gerhard Schröder abgefeuert. Als altmodisch werde in der SPD abgestempelt, wer Wahlversprechen einhalte und an Grundwerte erinnere, schreibt der saarländische Ministerpräsident Reinhard Klimmt in einem Brief an den Parteivorstand. Er fürchtet, die Gerechtigkeit solle ausgemustert werden, und macht Schröders wirtschaftspolitische Vorstellungen für die Niederlage der SPD bei den Europawahlen verantwortlich.
Deutliche Worte, die seit langem überfällig waren. Klimmts Vorstoß sollten auch jene in der SPD begrüßen, die seine Ansicht nicht teilen. Allzu lange schon hat sich die SPD um die notwendige Programmdebatte gedrückt und es hingenommen, daß die Traditionspartei immer stärker an Profil verloren hat.
Schon zu Zeiten Lassalles und Bebels haben die führenden Parteiköpfe ihre Stärke nur über den Weg des innerparteilichen Richtungsstreits gewinnen können, das war bei Willy Brandt und Helmut Schmidt nicht anders. Der Platz eines ernsthaften Gegenspielers von Gerhard Schröder aber ist seit Lafontaines Rückzug verwaist. Umfragen zeigen, daß dies weder im Interesse des Kanzlers noch in dem der SPD liegen kann.
Nun hat Klimmt (noch?) nicht das Format von Lafontaine. Er alleine kann die Diskussion über den künftigen Kurs der SPD wohl anstoßen, nicht aber beherrschen. Für seine Position braucht er Verbündete. Es gibt in der SPD wahrlich genug, denen die Richtung nicht paßt und die das Unbehagen eines großen Teils der Stammwählerschaft über die Definition der sogenannten Neuen Mitte teilen. Für sie wäre jetzt der richtige Zeitpunkt, um aus der Deckung zu kommen. Die Regierung hat offenkundig die Parole ausgegeben, die Sache niedrigzuhängen. Das ist aus ihrer Sicht verständlich. Aber für die SPD insgesamt könnte sich eine Vogel-Strauß-Haltung als fatal erweisen, die eine immer breiter werdende Kluft zwischen den Parteiströmungen einfach ignoriert. Manches deutet darauf hin, daß sich diese Erkenntnis allmählich Bahn bricht. Auch Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reinhard Höppner hat gerade Kritik am Schröder-Kurs geäußert. Vorsichtiger zwar als Klimmt, aber immerhin. Bettina Gaus
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