Kommentar: Der Urwald in der Metropole
■ Die Angst vor dem Ebola-Virus
Per Jumbojet mit hochinfektiöser Fracht ist der Urwald in die Metropole gekommen: Ebola! Da werden uralte Seuchenängste aktualisiert. Schon haben wir die Bilder im Kopf von grausam sterbenden Menschen, die aus allen Körperteilen bluten. Dabei wissen wir noch nicht, ob der Afrikabesucher auf der Berliner Isolierstation tatsächlich mit Ebola infiziert ist. Vielleicht ist es auch das Marburg-Virus, das Arena-Virus, das Krim-Kongo-Virus, der Erreger des Gelbfiebers oder des Rift-Valley-Fiebers?
Es gibt genug solcher Leckereien. Sie haben eines gemeinsam: Sie kommen aus dem Busch. Normalerweise betrachten wir sie aus sicherer Entfernung im Wohnzimmersessel per Fernbedienung. Dann beschleicht uns ein eigentümliches Gefühl und wir erinnern uns daran, dass es Kontinente gibt, in denen Aidspatienten mit Aspirin behandelt werden, in denen geheimnisvolle Krankheiten wüten, gegen die kein Kraut gewachsen ist. In denen niemand in der Lage ist, ein solches Virus labortechnisch zu diagnostizieren, geschweige denn, die Menschen davor zu schützen. Seit Aids wissen wir auch, dass der Weg aus den Viren-Reservoirs im afrikanischen Äquatorialgürtel bis in die Lightshows unserer Großstädte kürzer geworden ist. Weltweite Mobilität macht uns anfällig. Und der Urwald ist in Bewegung geraten.
Die Zerstörung der Regenwälder mit dem Vorrücken menschlicher Siedlungen stellt die Ökosysteme auf den Kopf. Tiere müssen wandern, sterben aus oder vermehren sich stark. Viren suchen sich neue Wirte und überspringen Artgrenzen. Die Zunahme des Maisanbaus begünstigt Mäuse, die das Junin-Virus übertragen. Der Transamazonas-Highway lässt eine Mückenart explodieren, die das Oropouche-Virus überträgt. Es gibt viele menschengemachte Veränderungen, die das Leben im Urwald verändern, die Viren aus ihrer Reserve locken.
Der mögliche Berliner Ebola-Fall dient bisher aber weniger der Nachdenklichkeit als der Panikmache. Für saftige Schlagzeilen à la „Höllenviren zerfressen uns“ ist er allemal gut. Doch eine große Ebola-Epidemie mit vielen Todesopfern ist in einem reichen Land mit seinen technologischen und finanziellen Ressourcen unwahrscheinlich. Die eigentliche Tragödie spielt in Afrika. Das gilt für Aids und für Ebola. Manfred Kriener
Berichte Seiten 5 und 13
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