■ Kommentar: Böse Erinnerung Die Grünen müssen bei der Homo-Ehe klug vorgehen
Die beklemmende Kampagne bei den Landtagswahlen in Hessen dürfte noch in lebhafter Erinnerung sein: Den Christdemokraten gelang es, massenhafte Proteste gegen die doppelte Staatsbürgerschaft zu organisieren. Sie wurden für die Instrumentalisierung des vermeintlichen Volkswillens mit einem Wahlsieg belohnt. Die Grünen wollen nun aus den Folgen dieses Desasters lernen und nicht ein zweites Mal wie selbstverständlich davon ausgehen, dass die Bürger Bürgerrechte schon gut finden werden.
Die Homo-Ehe, die es in anderen EU-Staaten wie den Niederlanden längst gibt und deren gesetzliche Umsetzung der Europäische Gerichtshof gefordert hat, ist ein wichtiges grünes Projekt. Es geht um die Identität als Bürgerrechtspartei.
Die CDU hat bereits ihren massiven Protest gegen den Angriff auf ihre Vorstellung vom Grundwert Familie angekündigt. Man mag der Auffassung sein, dass es hier um eine überfällige Gleichstellung geht, um das Recht, offiziell und mit allen Rechten und Pflichten als Paar anerkannt zu werden. Doch die Grünen sollten sich davor hüten, die Widerstände zu unterschätzen. Die deutsche Gesellschaft ist nicht von Natur aus liberal.
Selbst unter Grün-Wählern ist die Homo-Ehe kein Selbstläufer; viele sind der Auffassung, dass eine Eheschließung doch eigentlich grundsätzlich abzulehnen sei und man lieber für die Abschaffung der ehelichen Privilegien kämpfen sollte (die nie kommen wird). Und die wenigsten Grünen werden, allen Lippenbekenntnissen zum Trotz, für die Homo-Ehe die Koalition aufs Spiel setzen.
Wer gegen das Volk regiert – und im Übrigen als Grüne gleichzeitig für die bundesweite Einführung von Volksbegehren plädiert –, sollte sich davor hüten, auf den Koalitionsvertrag zu verweisen und die Hände in den Schoß zu legen. Denn eins ist klar: Wird der Widerstand gegen die Homo-Ehe messbar, werden Schröder und seine Genossen alles daran setzen, das Gesetzesvorhaben zu verwässern. Am Ende droht eine kleingekochte Fassung mit hohem Symbolwert wie bei der doppelten Staatsbürgerschaft.
Gelingt es den Grünen wieder nicht, eine gesellschaftliche Mehrheit inklusive Schröder und liberalen CDU-Vertretern für die Homo-Ehe zu gewinnen, steht mehr auf dem Spiel als ein weiteres „Vermittlungsproblem“. Silke Mertins
Bericht Seite 6
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen