Kommentar: Strieder-Bolschewisten!
■ Massenmobilisierung bei der SPD
Und jetzt das Wetter mit Peter Strieder. „Es ist mein fester Wille, ein anderes Klima herbeizuführen“, kündigte der SPD-Landesvorsitzende gestern an. Warum nicht? Endlich hat die SPD wieder eine Vision, die sich nicht an der grauen Realität orientiert. Für Teneriffa statt Treptow dürfte sich bei den derzeitigen Temperaturen so mancher Berliner erwärmen. Neckermann-Mehrheiten wären den Sozialdemokraten sicher. Schließlich haben die Philosophen die Klima-Verhältnisse nur verschieden interpretiert, es kömmt aber darauf an, sie zu verändern!
In Wirklichkeit freilich ging es Strieder um das Vorgehen bei den bevorstehenden Koalitionsgesprächen. Da aber bleiben die Aussichten für die SPD am Sonntag eher trübe.
Eine gute Nachricht gibt es für die Sozialdemokraten dennoch. Kaum ist Spitzenkandidat Walter Momper in der Kiste, gelingt es der Partei endlich wieder, die Massen zu mobilisieren: Mit einer zwölfköpfigen Verhandlungsdelegation will die SPD-Spitze offenbar als formierter Demonstrationszug ins Rote Rathaus einziehen. Parallel zur Verkleinerung des Senats ist es der SPD damit gelungen, die Zahl ihrer Delegierten im Vergleich zu 1995 um nicht weniger als 33 Prozent (!) zu erhöhen. Ein Rückfall in Bolschewiki-Methoden oder alte, am WG-Tisch erprobte Verhandlungstricks? Oder doch nur Ausdruck der Tatsache, dass man bei jeder Versammlung von drei Sozialdemokraten immer mindestens vier verschiedene Meinungen findet? Auf jeden Fall rücken die Genossen zahlreich zum letzten Posten-Gefecht an, um das Menschenrecht auf Verwaltung des Finanzressorts zu erkämpfen.
Der bescheidene Klassenfeind CDU, der bis Redaktionsschluss nur fünf Gesprächsführer benannt hatte, erwog eine sofortige Nachrüstung. Den Christdemokraten sei dringend davon abgeraten: Da die SPD nur knapp über die Hälfte des CDU-Wahlergebnisses von 40,8 Prozent vorweisen kann, ist es nur legitim, dass sie mit der doppelten Anzahl an Verhandlungsführern aufwarten darf. Ein Stück soziale Gerechtigkeit sozusagen – wenn es hart auf hart kommt, verstehen die Genossen davon eben doch am meisten.
Andreas Spannbauer
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