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KommentarDreist und brutal ■ Russlands Propaganda gibt Sturmtruppen Rückendeckung

Dass Russland aus dem Debakel des letzten Tschetschenienfeldzuges gelernt und sich für die Kriegsführung an der Informationsfront bei der Nato einiges abgeguckt hat, dokumentieren die Verantwortlichen in Moskau seit Beginn des jüngsten Tschetschenienkrieges. Mit einer Dreistigkeit ohnegleichen wird gelogen, beschönigt und verschleiert – wohl wissend, dass, mangels journalistischer Präsenz, Informationen über das wahre Ausmaß der Verbrechen an der tschetschenischen Bevölkerung kaum noch den Weg nach außen finden.

Da liegt es nur in der Logik der Sache, dass sich die Kreml-Krieger, pünktlich zum Weihnachtsfest, um eine ganz besonders schöne Verpackung bemühen. Und so sind die in ihrer Intensität erneut gesteigerten Artillerie- und Luftangriffe auf Grosny vom Wochenende gar keine Entscheidungsschlacht, geschweige denn der ultimative Sturmangriff auf die Reste der tschetschenischen Hauptstadt. Vielmehr mutiert die Aktion lapidar zu einer Fortsetzung der „Befreiungsaktion“.

Angesichts von zehntausenden Tschetschenen, die teils verletzt und in Todesangst in Kellern vegetieren, ist dieser offizielle Sprachduktus zwar an Zynismus kaum noch zu überbieten. Jedoch erlaubt eine derartige Verbalakrobatik eine Banalisierung der Ereignisse.

Die Vorteile liegen auf der Hand. Der russischen Regierung hilft das, vor der eigenen Bevölkerung das Gesicht zu wahren. Schließlich lässt sich eine Befreiungsaktion, deren Phasen kaum noch jemand überblickt, immer noch besser verkaufen als ein Vernichtungskrieg im Entscheidungsstadium. Und ein Scheitern der russischen Truppen bei der Einnahme Grosnys oder ein wochenlanges Abschlachten mit vielen Opfern können begründet werden: Der Sturmangeriff hat ja noch nicht stattgefunden. Auch der Westen braucht sich jetzt nicht aus dem Fenster zu lehnen. Zumal ja einige Beobachter im Ergebnis der Duma-Wahlen durchaus Anzeichen für eine Demokratisierung und positive Weichenstellung in Russland erkannt haben wollten.

Zumindest die russische Regierung hat ihre Interpretation des Wählervotums zu Weihnachten nachgeliefert. Die lautet: Krieg in Tschetschnien bis zum bitteren Ende und egal um welchen Preis. Aber vielleicht sehen einige Experten im Westen ja auch darin noch ein Zeichen der Hoffnung. Barbara Oertel

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