Kommentar: Perfekte Inszenierung ■ Vom Konflikt mit Hessen profitieren alle in der FDP
Wütend, erschöpft, gedemütigt: Wie ein Verlierer verließ der FDP-Vorsitzende Wolfgang Gerhardt vorzeitig die Krisensitzung mit seinen hessischen Parteifreunden. Ausgerechnet in seinem ehemaligen heimischen Landesverband hatte sich Gerhardt nicht durchsetzen können. Obwohl er öffentlich dagegen war, bleibt Hessens FDP der Koalition mit Koch „bedingungslos“ treu. Noch nie sah eine Niederlage so echt aus; und Gerhardt gab sie auch bereitwillig zu. Aber ist der FDP-Chef wirklich gescheitert?
Prominente Stimmen in der FDP klingen danach. In Schleswig-Holstein ist Spitzenkandidat Wolfgang Kubicki „fassungslos“ und muss sich erst mal erholen. Der nordrhein-westfälische Landeschef Jürgen Möllemann fordert einen Sonderparteitag, und die Liberalen in Hessen sehen sich nach einem Schuldigen für die plötzliche Parteikrise um. Klar, dass es Gerhardt ist. Der Bundesvorstand hätte sich nicht so lautstark einmischen sollen, dann wäre das Problem jetzt kleiner, meint die Hessen-FDP. Aber gibt es denn wirklich ein Problem?
Nein, im Gegenteil: Es sieht nach einer strategischen Meisterleistung aus. Während viele Parteien und Politiker durch die Parteispenden-Affären das wichtigste Gut ihres Geschäfts verloren haben – die Glaubwürdigkeit –, strahlen Gerhardt und die Bundes-FDP in einem neuen Glanz der Ehrlichkeit. Davon profitieren auch die FDP in Schleswig-Holstein und in Nordrhein-Westfalen, die demnächst Landtagswahlen zu bestehen haben.
Der Konflikt mit Hessen ist vielleicht eine Krise, aber eine gelungene. Denn im Kampf, in der Niederlage, im Drama kann sich Integrität besonders deutlich beweisen. Helden gibt’s nur, wenn auch das Fach des Schurken besetzt ist. Hier mit einer Schurkin. Ruth Wagner blieb nur diese Rolle. Schon bei der letzten Wahl kam die Hessen-FDP auf nur 5,1 Prozent. Ein so knapper Einzug in den Landtag und dann gleich zwei Ministerposten: Dieser Effizienzerfolg wäre bei einer Neuwahl nicht zu wiederholen.
Verdächtig gefasst äußert sich denn auch FDP-Generalsekretär Westerwelle. Ganz zu Recht vermutet er, dass Hessen „keine negativen Auswirkungen“ für die Gesamtpartei haben wird. Die Inszenierung ist perfekt – so perfekt, dass man schon wieder an Zufall glaubt. Trotz des legendären Rufs der perfekten Machtmaschine FDP. Ulrike Herrmann
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