Kommentar: Nicht geräuschlos
■ Warum die Ausländerbehörde nun beinahe machen kann, was sie will
Wie brutal ist es, wenn ein selbstmordgefährdeter Flüchtling abgeschoben und damit fast in den Tod getrieben wird? Wie zynisch ist es, dass er dafür auch noch an seine Peiniger zahlen soll? Und wie absurd ist es, dass das alles ganz legal ist?
Flüchtlinge sind Menschen zweiter Klasse, für die wesentliche Grundrechte nicht gelten. Das war schon unter Rot-Grün so. Geändert aber hat sich seitdem zweierlei: Die menschenverachtende Abschiebepolitik genießt heute eine 1000-prozentige Rückendeckung von Behördenspitze und Regierungsparteien. Mit diesem Wind im Rücken werden mehr denn je amtsärztliche Atteste vom Tisch gewischt, Familien getrennt, Rechte von Flüchtlingen ignoriert – wird schärfer als je zuvor hart am rechtlichen Limit gesegelt.
Brutaler aber ist, wie die von Schill und CDU propagierte Entsolidarisierung mit den Schwachen in den Köpfen der Stärkeren angekommen ist. Wenn Umfragen zufolge eine Mehrheit der Hamburger Brechmitteleinsätze auch dann befürwortet, wenn dabei tödliche Komplikationen nicht auszuschließen sind, spricht diese gar nicht mehr so schweigsame Mehrheit einer Gruppe von Menschen damit das Lebensrecht ab. Und: Was immer sich die behördlichen Menschenjäger noch einfallen lassen – statt Entrüstung setzt es Applaus.
Dagegen hilft nur eins: Sich erst recht empören, praktische Solidarität zeigen, sich nicht abfinden. Erst wenn die Ausgrenzung derjenigen, die unsere Hilfe brauchen, geräuschlos vonstatten geht, haben die Schills und Kuschs sich durchgesetzt.
Marco Carini
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