Kommentar zur Sonntagsöffnung: 24/7 ist kein Ausdruck von Liberalität
Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg ignoriert leider, dass eine Stadt umso mehr Ruhezeiten braucht, je größer, hektischer und touristenreicher sie ist.
Vielleicht wohnen sie lauschig und zurück gezogen, die Richter am Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg. Und können deshalb nicht so richtig einschätzen, was für ein Geschenk zeitweilige Ruhe in einer bald vier Millionen Menschen großen Stadt ist. Sonst hätten sie kaum jenes Urteil gefällt, das die Sonntagsruhe weiter untergräbt.
Es ist nämlich genau der falsche Weg, zu meinen, je größer die Stadt ist und je mehr Touristen sie anzieht, umso länger müssten die Öffnungszeiten sein, umso mehr müsse sie mutieren zu einer „City that never sleeps“. Richtig ist vielmehr: je größer, umso lauter, umso hektischer – und umso ruhebedürftiger. Einmal pro Woche mangels Einkaufsmöglichkeiten mal in der Lage, ja durchaus unter Druck sein, sich nur mit Familie, Freunden oder auch sich selbst zu beschäftigen oder mal nichts zu tun, zur Ruhe zu kommen.
Jetzt käme in einer Diskussionsrunde sofort wieder das Argument, das sei doch total unliberal und bevormundend, das müsse doch jeder selbst entscheiden können. Nein, eben nicht. Denn wenn Hektik und Unruhe in einer Gesellschaft mehr und mehr verstörte Menschen produzieren, geht das alle an und ist darum auch allgemein zu regeln. Genau so, wie dieselbe Gesellschaft vorgibt, wie schnell wo zu fahren und wie der Müll zu trennen ist.
Interessanterweise macht sich die Abgeordnetenhausfraktion der Grünen, sonst eher im Verdacht, zu viel regeln zu wollen, hier gemein mit CDU und Industrie- und Handelskammer (IHK) und begrüßt das Urteil als „wichtiges Signal für den Tourismus in Berlin“. Es sei gut, dass die verkaufsoffenen Sonntage erhalten blieben. Und die IHK verweist darauf, dass Onlineshopping am Sonntag nicht verboten ist, und meint, dass man immer mehr Liefer- und Paketdiensten am besten mit möglichst wenig Einschränkungen begegnen kann. Wer derart 24/7 für den ultimativen Ausdruck von Liberalität hält, der hat nicht verstanden, worum es bei diesem Begriff eigentlich geht.
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