Kommentar zum Humboldtforum: Er weiß, wie man Geschichte erzählt
Der bisherige Leiter des Britischen Museum in London, Neil MacGregor, wird Leiter der Gründungsintendanz des Humboldtforums. Eine kluge Wahl.
Das Rätselraten hat ein Ende: Der bisherige Leiter des Britischen Museum in London, Neil MacGregor, wird Leiter der Gründungsintendanz des Humboldtforums. Der 68-Jährige soll zunächst zwei Jahre lang inhaltliche Schwerpunkte setzen. Zuletzt war vielfach kritisiert worden, dass für das kulturelle Prestigeprojekt im Stadtschloss-Nachbau ein Konzept fehle.
Eine super Wahl
Der Schotte MacGregor, von Königin Elizabeth zum Ritter geschlagen und in der Tageszeitung Independent zu einem der einflussreichsten schwulen Männer der Insel gekürt, ist der richtige Mann für diese Aufgabe. In Großbritannien war er zuletzt vor allem als Geschichtenerzähler bekannt. Seine Radioserie „Die Geschichte der Welt in 100 Objekten“ gilt als eines der Glanzwerke des Mediums. Darin erklärt er die bedeutendsten Momente der Welthistorie anhand von Gegenständen aus der Sammlung des Britischen Museums – also ausgerechnet jenes Hauses, das viele in Zeiten des britischen Kolonialismus geraubte Kulturgüter besitzt, aber sich inzwischen als Hüter und Vermittler von Kulturen versteht. Wichtig war MacGregor dabei ein Verständnis aus der Perspektive der Gegenwart. Ein ähnlicher Ansatz ist für das Humboldtforum nicht verkehrt.
Das Museum beschäftigte sich zudem unter seiner Leitung zum 100. Jahrestag des Ersten Weltkrieges intensiv mit der deutschen Geschichte. MacGregors Reihe „Deutschland, Erinnerungen einer Nation“ war aus britischer Sicht revolutionär: Die fundierte, von Vorurteilen befreite Behandlung des Themas war zuvor – selbst knapp 70 Jahre nach dem Tode Hitlers – noch unmöglich gewesen. Regelmäßig lud MacGregor zu deutsch-britischen Vergleichen ein, etwa bei der Frage der Vergangenheitsbewältigung. Am Ende konstatierte er, dass man damit in Deutschland bewusster umgehen würde als in Großbritannien. Die sich immer noch selbst feiernde britische Nation sank herab auf die unterste Stufe postkolonialer Demut.
Saint Neil kommt
Für Berlin ist der strenggläubige Christ – Spitzname Saint Neil – eine Glücksfall, und man sollte nicht vergessen, dass er ein gleichwertiges Angebot vom Metropolitan Museum of Art in New York abgelehnt hat, weil jenes wegen des Eintrittspreises nicht wirklich öffentlich sei. Wie wird er die Herausforderung annehmen? Vielleicht gibt ihm die Position außerhalb Britanniens Mut, Themen anzugehen, die in London noch tabuisiert werden, etwa das Zeitalter des Kolonialismus und der Kreuzzüge.
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