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Kommentar zum Haasenburg-VerfahrenJugendhilfe-Gesetz ändern, jetzt!

Kaija Kutter
Kommentar von Kaija Kutter

Schmerz ist keine Qual im richtigen Sinne, so begründen die Ermittler die Einstellung des Haasenburg-Verfahrens. Das ist zynisch und falsch.

Häschenohren machen es nicht besser. Schild vor einem Haus der Haasenburg GmbH. Foto: dpa

W er von den staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen in Brandenburg eine restlose Aufklärung der Misshandlungsvorwürfe und Gerechtigkeit für die Opfer erwartet hat, wird jetzt bitter enttäuscht. Die Begründungen der Einstellungen – Schmerzen etwa seien noch kein Quälen im Sinne der Gesetzesform – lesen sich zynisch und sind eine Ohrfeige für die betroffenen ehemaligen Heimbewohner. Mehr noch: Es bleibt der Eindruck, die Ermittler haben manches schlicht nicht so genau wissen wollen. Warum wird eine Zimmernachbarin nicht als Zeugin gehört? Misst man ihr keine Glaubwürdigkeit zu? Ein Gerichtsverfahren hätte das doch klären können.

Es sieht gar so aus, als würde das Handeln der Betreuer von der Staatsanwaltschaft nachträglich legitimiert. Aufbrausendes oder beleidigendes Verhalten eines Kindes gelten da als Begründung für den Einsatz körperlicher Gewalt in Form von Polizeigriffen.

Nein: Eltern dürfen so etwas mit ihren Kindern nicht tun und staatlich bezahlte Betreuer schon gar nicht. Kinder haben ein Recht auf gewaltfreie Erziehung. Selbst unterstellt, es stimmt, dass sich weitere Anklagen nicht mit den nötigen Beweisen unterlegen lassen, bedeutet dies nicht, dass das, was über Jahre in den Heimen passiert ist, mit dem Gesetz im Einklang stand. Zumal die meisten Tatvorwürfe nun nur wegen Verjährung nicht verfolgt werden.

Der Ausgang der Verfahren zeigt auch, wie schwer es für Heimkinder ist, im Nachhinein zu ihrem Recht zu kommen. Deshalb ist wichtig, den Schutz der Kinder in Heimen durch schärfere Eingriffs- und Kontrollrechte zu verbessern. Mag es im Strafrecht ein „in dubio pro reo“ geben, brauchen wir im Kinder- und Jugendhilfegesetz ein „in dubio pro infante“. Die Jugendministerkonferenz arbeitet seit Schließung der Haasenburg an einer Gesetzesänderung. Es wird Zeit, dass sie liefern.

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Kaija Kutter
Redakteurin taz-Hamburg
Jahrgang 1964, seit 1992 Redakteurin der taz am Standort Hamburg für Bildung und Soziales. Schwerpunkte Schulpolitik, Jugendhilfe, Familienpolitik und Alltagsthemen.
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5 Kommentare

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  • Bei den bundesweiten Debatten um Kinderrechte muss man Kinder nicht vor Eltern schützen, sondern vor "Fremden" - vor allem in staatlichen Einrichtungen, wo Kinder eigentlich in jeder Hinsicht geschützt sein sollen!

  • Das Problem ist die jahrzehntelange Untätigkeit aller Kontrollorgane. Gewalttätige Erziehung galt allenfalls als Faut-Pas wegen dessen man bewährte Erzieher_innen nicht sanktionieren wollte.

    Es ist gut, dass sich das geändert hat. Doch nun wegen der Fehler der Vergangenheit die Dinge auf den Kopf zu stellen, wäre grundverkehrt. Schon heute sind insbesondere männliche Erzieher einem Generalverdacht ausgesetzt, der an ein Berufsverbot grenzt. Kinder sind nicht immer nur gutmütig und sagen nicht immer die Wahrheit. Sie sind natürlich in ihrer persönlichen Freiheit durch die Erzieher_innen eingeschränkt und einige probieren auch aus, was sie dem entgegen setzen kann.

    Eine Umkehr der Beweislast wäre daher fatal. Wichtig dagegen ist, genauer hinzusehen. Das fehlte in der Vergangenheit. Da wurde den Kindern pauschal nicht geglaubt. Dies heute umzudrehen und den Erzieher_innen pauschal nicht zu glauben, würde die Situation zwar verändern aber nicht verbessern. Auch wenn genau hinzusehen aufwändiger ist, als schnell ein pauschales Urteil zu fällen, so ist es doch der einzige Weg zur Gerechtigkeit. Denn bei Gerechtigkeit geht es nicht um Lobbyarbeit für eine Interessensgruppe sondern um den Einzelfall.

  • In dem ganzen Umfeld, betrifft auch andere Bereiche, war NIEMALS der Wille vorhanden, eine Aufklärung und eine Rechtsprechung herbei zu führen. Es mangelt halt am Willen.

    Hans-Ulrich Grefe

  • Die Gesetze sind da. Sie müssen nur angewandt werden.

     

    „in dubio pro infante“ fände ich aus zwei Gründen nicht richtig, bei aller Schutzbedürftigkeit.

    1. Ausnahmen für eine Gruppe von der allgemeinen Regel, hat zwangsläufig zur Folge, dass auch andere Gruppen Ausnahmen haben möchten /bekommen. Damit wird das Rechtsprinzip aufgeweicht.

    2. Jugendliche sind nicht doof. Jugendliche testen ihre Grenzen aus. Und Sonderrechte für Jugendliche würden sofort genutzt für ureigene Interessen - vielleicht von einer Minderheit, aber die Erziehungsarbeit würde mit Sicherheit erschwert. Denn über 99% der Erziehungsarbeit ist gut und gewaltfrei. Erzieher stehen immer mit einem Bein im Gericht, da viele deutsche Jugendämter Behauptungen - wie auch gerechtfertigte Beschwerden - von Jugendlichen schon heute sehr ernst nehmen.

     

    Wendet die jetzigen Gesetze, ohne falsche Rücksichtnahme an.

  • Wie muss ich denn da die RichterInnen verstehen? Ein bisschen Prügel hat noch keinem geschadet, ausser sie kämen von den Eltern??? Die Herausnahme des Kindes aus der Familie wird auch aufgrund von fortgesetzter (körperlicher) Gewalt erlaubt. Wie will das Gericht hier seine Begründung untermauern, wenn es dieselben Taten von Seiten Dritter billigt, oder gar die Qual derselben leugnet?

     

    Und möchte das selbe Gericht in ein paar Jahren in Akten zu einem neuen Runden Tisch zum Thema Gewalt in Jugendheimen stehen? Als der Teil, der nichts unternommen und Quälerei geleugnet und damit gebilligt hat?