piwik no script img

Kommentar zum Fall Deniz YücelIn Erdoğans Einzelhaft

Georg Löwisch
Kommentar von Georg Löwisch

Indem sie ihn einschließen, schließen sie ihn aus: Mit der Einzelhaft für Deniz Yücel will Erdoğan zeigen, dass es wehtut, wenn er Gefangene macht.

Allein ist Deniz – schlimm genug – nur in seiner Zelle, außerhalb davon stehen die Menschen an seiner Seite Foto: reuters

D er Mensch lebt mit Menschen. Er spürt ihre Nähe. Spricht mit ihnen. Hört sie. Sieht sie. Riecht sie. Er wirft ihnen etwas hin, eine böse Bemerkung oder ein freundliches Kompliment, eine Frage oder eine Idee. Er beobachtet ihre Reaktionen, schätzt sie ein, verarbeitet sie. Ist begeistert. Gelangweilt. Oder verärgert. Der Mensch lebt nicht nur mit, er lebt vom Menschen.

Aber Deniz Yücel sitzt in Einzelhaft. Seit drei Wochen. Er hat eine Zelle der Haftanstalt von Silivri westlich von Istanbul. Es ist eines der größten Gefängnisse Europas, Tausende leben dort, der Gebäudekomplex ist überfüllt. Aber drinnen ist Deniz ­Yücel allein. Nur ab und zu wird er in einen Besucherraum geführt, wo er mit seinen Anwälten sprechen darf; einmal hat seine Schwester ihn gesehen. Nach so einem Besuch muss er zurück in die Zelle. Indem sie ihn einschließen, schließen sie ihn aus. Über die Haftbedingungen sind wir nur über die Anwälte unterrichtet. Die türkischen Behörden sagen nichts. Die Anwälte haben beantragt, dass der Gefangene mit anderen zusammenkommt: keine Antwort.

In Silivri gibt es auch Dreierzellen, in die fünf oder sechs Menschen gesperrt sind. Das ist hart. Kann es nicht sogar weniger hart sein, wenn man eine Zelle für sich hat? Nein, denn die Abschottung ist strenger als anderswo. In anderen Gefängnissen bedeutet Einzelhaft, dass ein Häftling regelmäßig mit anderen auf den Hof darf.

In Deniz Yücels Gefängnis bedeutet Einzelhaft jedoch, dass die etwa sechs Quadratmeter große Zelle einen eigenen winzigen Hof von noch einmal sechs Qua­drat­metern hat.

Am Bücherstand der Apparatschiks

Zum Lesen sind Bücher aus der Gefängnisbibliothek erlaubt, von außen dürfen nur Lehrbücher mitgebracht werden. Während drüben in Deutschland die Leipziger Buchmesse läuft, wo die Autorinnen und Autoren lesen und streiten und feiern, regulieren in Silivri Apparatschiks die Lektüre von Deniz Yücel. Erst 2014 hat er in einer Leipziger Messehalle sein Buch über die Gezi-Proteste vorgestellt. Immerhin, seine Texte werden da sein, wir werden aus ihnen vorlesen.

Derweil findet Präsident Erdoğanoffenkundig, dass er sich genug inszeniert hat. Seine bizarre Eskapade der Nazi-Deutschen und Nazi-Niederländer, die seinen heldenhaften Wahlkampf behindern, hat er geritten. Jetzt brauchen die Politiker seiner AKP gar nicht mehr aufzutreten. Die Show ist gelaufen.

Aber Deniz Yücel sitzt immer noch in seiner Einzelzelle. Am Mittwoch hat sich sogar Frank-Walter Steinmeier für ihn verwandt, der neue Bundespräsident: „Geben Sie Deniz Yücel frei“, hat er an Erdoğan appelliert. Nein, außerhalb von Silivri ist unser Kollege nicht allein.

Seine Gefangennahme heißt offiziell Untersuchungshaft, obwohl sie gar nicht das Ziel hat, die Wahrheit zu ermitteln. Sie dient der Abschreckung ­anderer Korrespondenten in der Türkei. Sie soll Stärke ­demonstrieren, mit der Erdoğanzeigen will, dass es wehtut, wenn er Gefangene macht. Und sie ist eine Strafe, die darin besteht, einem Menschen alle anderen Menschen wegzunehmen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Georg Löwisch
Autor
Viele Jahre bei der taz als Volontär, Redakteur, Reporter und Chefredakteur.
Mehr zum Thema

7 Kommentare

 / 
  • Größenwahn kennt keine Grenzen!

    Was hat uns die Geschichte schon gelehrt, aber geändert hat sich nichts.

     

    Die Schweine werden ausgetauscht, der Saustall bleibt der gleiche.

     

    Kurt Tucholksky

    • @Querdenker:

      Lerne Lachen ohne zu Weinen.

      In Spanien gründeten sie einmal einen Tierschutzverein, der brauchte nötig Geld. Da veranstaltete er für seine Kassen einen großen Stierkampf.

      Schnipsel (Peter Panter 1932)

       

      Diese Zeilen beantwortete mir kürzlich ein Münchner taz-Genosse mit dem Hinweis, ich wüßte halt nicht, dass der Stierkampf allezeit spanische Tradition gewesen sei.

  • Sie haben Recht. Das werde ich Erdogan nicht verzeihen. Sicher nicht nur ich! Und sicher meine ich auch die Freunde und hilflos ihnen Nahestehenden, Angehörigen seiner Kollegen, denen es ebenso geht wie Deniz Yücel.

  • 3G
    33293 (Profil gelöscht)

    ...scheiß auf Netiquette in diesem Fall: Erdogan ist einfach ein Arschloch! Nicht mehr nicht weniger - so einfach ist das & alle die ihn hier zujubeln, sollten wieder an den Bosporus ziehen!

    • 5G
      571 (Profil gelöscht)
      @33293 (Profil gelöscht):

      Auch wer ihm zujubelt, muss nicht "an den Bosporus ziehen", so viel Toleranz und Respekt vor der (Meinungs)Freiheit muss sein, auch wenn ich ansonsten Ihre Meinung, v. a. zum Sultan, hundertprozentig teile.

    • @33293 (Profil gelöscht):

      Zwar bin ich kein gelernter Psychologe, doch scheint es mir offensichtlich zu sein, dass dieser sog. „Präsident“ schwerkrank ist; sein Handeln lässt m. E. mühelos darauf schließen, dass er an einer pathologischen schizophrenen paranoiden und psychopathischen Störung leidet, gepaart mit dazugehörendem Größenwahn und Realitätsverlust. Leider ist das derzeit kein Einzelfall; auch in der Geschichte gab es diverse Fälle. Rätselhaft nur, dass ganze Gesellschaften diesen Kranken und ihren Wahnvorstellungen immer wieder auf den Leim gehen (!). Jedes Volk hat die Regierung, die es verdient; das mag zynisch klingen, aber derzeit sieht es mal wieder ganz danach aus. Appeasement-Politik hat auch in unserer jüngeren Vergangenheit nicht dagegen geholfen (!).

      • @Boy Herre:

        Das ist ganz "normales" Patriarchat. So wie die russischen Bauern Stalin gestützt haben, stützen die türkischen Bauern Erdogan. Weil er ihrer Bauernschläue kleine Geschenke macht und ihrem Minderwertigkeitskomplex "Größe" verspricht. "Hurra! Wir sind wieder wer!"

        "Make America great again" ist auch nichts anderes.

        Fehlt nur noch "Heil Erdogan!"