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Kommentar zum BundeswehrskandalDie Spitze des Eisbergs

Pascal Beucker
Kommentar von Pascal Beucker

Ihre Kritik an der Bundeswehr ist Ursula von der Leyen nicht vorzuwerfen. Nun muss sie aber auch Konsequenzen ziehen.

Defizit? In 28 der vergangenen 35 Jahre stellte die Union den oder die VerteidigungsministerIn Foto: dpa

A lle Alarmglocken hätten laut schrillen müssen. Da lehnt ein deutscher Oberleutnant in einer Masterarbeit, mit der er sein Studium der Staats- und Sozialwissenschaften an einer Offiziersschule abschließen will, mit wüsten völkischen Begründungen die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte ab. Nur aufgrund von „Desinformation“ würde der größte Teil der Bevölkerung überhaupt an die Menschenrechte glauben und nicht deren „unheilvollen Charakter“ erkennen, schreibt er. Dabei bilden sie aus seiner Sicht „das Rückgrat der Subversion“ und die „Hauptsäule“ einer „Heterogenisierung der Völker“. Die „Durchmischung der Rassen, Nationen und Religionen“ führe „zu einem Genozid der Völker in Westeuropa“.

196 Seiten umfasst das Traktat, das Franco A. unter dem Titel „Politischer Wandel und Subversionsstrategie“ Ende 2013 an der französischen Elitemilitärschule Saint-Cyr einreichte. Es offenbart eine zutiefst rechtsextremistische Gesinnung, unvereinbar mit Paragraf 8 des Soldatengesetzes: „Der Soldat muss die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes anerkennen und durch sein gesamtes Verhalten für ihre Erhaltung eintreten.“

Doch für den mit dem Fall betrauten Wehrdisziplinaranwalt handelte es nur um eine „wissenschaftliche Schlechtleistung“. Für ihn seien „Zweifel an der erforderlichen Einstellung zur Werteordnung nicht nur nicht belegbar, sondern auszuschließen“. So erhielt Franco A. nur eine Verwarnung und durfte eine neue Masterarbeit schreiben. Im Juli 2015 wurde er zum Berufssoldaten ernannt. Damit war der Fall erledigt.

Bis Franco A. Ende April unter Terrorverdacht auf dem Wiener Flughafen festgenommen wurde. Jetzt ermittelt die Bundesanwaltschaft – und Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen hat ein Problem.

Strukturell anfällig für Rechtsextremismus

Waffen und Uniformen, klare Hierarchien und das Grundprinzip von Befehl und Gehorsam, der immer noch vorherrschende Korpsgeist: Es liegt in der Natur der Sache, dass die Bundeswehr anziehend auf autoritäre Charaktere bis hin zu militanten Neonazis wirkt. Das ist kein neues Phänomen, schon der schillernde Nazi-Kader Michael Kühnen verpflichtete sich einst als Zeitsoldat. Die Truppe war und ist „strukturell anfälliger“ für Rechtsextremismus als andere Bereiche der Gesellschaft, wie der Wehrbeauftragte Hans-Peter Bartels zutreffend konstatiert.

Desto entscheidender sind jedoch die Selbstreinigungskräfte der Truppe, das demokratiefeindliche Klientel schnell zu erkennen und auszusortieren. Doch genau da hakt es. Denn der Fall Franco A. – so bizarr er auch in seinen Details erscheint – ist nur die Spitze des Eisbergs.

taz.am wochenende 6./7. Mai

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In den vergangenen Jahrzehnten hat sich die Bundeswehr von einer Verteidigungs- zu einer weltweit operierenden Interventionsarmee gewandelt. Damit verbunden war die Abschaffung der Wehrpflicht, was die Zusammensetzung der Truppe stark verändert hat und sie immer weniger als Spiegelbild der Gesellschaft erscheinen lässt. Angefangen von Manfred Wörner stellte die Union in 28 der vergangenen 35 Jahre den oder die VerteidigungsministerIn. Sie haben diesen Wandlungsprozess entscheidend gestaltet. Dass dabei der Kampf gegen rechtsextremistische Umtriebe in der Truppe ganz oben auf ihrer Prioritätenliste gestanden hätte, lässt sich nicht gerade behaupten.

Ursula von der Leyen scheint jetzt immerhin die Dimension des Problems begriffen zu haben. Wenn sie in ihrem Anfang der Woche veröffentlichten offenen Brief an die Angehörigen der Bundeswehr einräumt, „dass es in zu vielen Bereichen der Bundeswehr keinen Konsens“ darüber gebe, welches Meinungsspektrum erlaubt sei und wo die Grenze zum Extremismus überschritten werde, dann dokumentiert das akuten Handlungsbedarf. Vorzuwerfen ist ihr nur, das nicht früher erkannt zu haben. Wichtiger ist allerdings, ob sie nun auch bereit ist, gegen alle Widerstände in der Bundeswehr die Konsequenzen aus ihrem Befund zu ziehen.

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Pascal Beucker
Inlandsredakteur
Jahrgang 1966. Arbeitet seit 2014 als Redakteur im Inlandsressort und gehört dem Parlamentsbüro der taz an. Zuvor fünfzehn Jahre taz-Korrespondent in Nordrhein-Westfalen. Seit 2018 im Vorstand der taz-Genossenschaft. Sein neues Buch "Pazifismus - ein Irrweg?" ist gerade im Kohlhammer Verlag erschienen.
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10 Kommentare

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  • Ich sehe die Sache anders, ich bin im Moment noch nüchtern. Die Bundeswehr hat nichts im ideologischen Sinne mit der Wehrmacht zu tun. Das was jetzt in der Bundeswehr passiert ist kann man bereinigen, während bei der Wehrmacht es nichts mehr zu bereinigen gab. Die Wehrmacht mußte vernichtet werden um noch größeren Schaden in der Welt zu verhindern. Der Kapitalismus muß auch nicht beseitigt werden, denn wenn der Kommunismus oder der Sozialismus kommen würde, das wäre das Ende der Freiheit. Ich mag nicht wenn man die Sachen so verdreht und den dummen und primitiven Kommunismus und Sozialismus hier verherrlichen will. Zum Teufel mit den idelogischen und veralteten Ansichten

  • Ein Bashing der Bundeswehr - warum auch immer - mag den Linken dieses Landes gut passen.

    War bei der Polizei in der Vergangenheit auch so und niemand hat sich an dem dortigen Personal- und Mittelabbau gestört. Und nach Köln war das Geschrei groß ...

    Gleiches darf bei der Bundeswehr nicht passieren.

     

    Frau v.d.L. schadet dem Image der Bundeswehr ungemein. In Zukunft werden noch weniger junge Menschen mit nicht (!) rechter Gesinnung zur Bundeswehr wollen ... und die "Rechten" sind zunehmend unter sich. Richtig wäre es intern (!) und ohne öffentliche Diskussion gegen rechte Gesinnungen vorzugehen. Aber Frau v.d.L. hat nur ihre eigene Zukunft als Kanzlerin im Blick ...

  • DIE DIMENSION DES PROBLEMS BEGRIFFEN...

    hat sie offensichtlich nicht, denn ansonsten hätte sie sich der dienstlichen mittel bedient, die einer verteidigungsministerin zur verfügung stehen: berichte aus den divisionen anfordern, generalitität zur aussprache einladen, tagesbefehl an den generalinspekteur mit den erkannten massnahmen. stattdessen öffentlich hilflosigkeit demonstrieren und die truppe durch offene briefe öffentlich diskreditieren - aber wer in der cdu hat eigentlich lust, sich aus den traditionen der wehrmacht zu lösen, oder wehrt sich wirksam, den "staatsbürger in uniform" vergessen zu machen.

  • Die Bundeswehr hat ein Führungsproblem. Beim Rechtsextremismus aber auch bei der Beschaffung von Waffen. Frau von der Leyen ist Teil dieses Problems. Während sie anfangs die Probleme auf ihren Vorgänger schieben konnte, gilt dies nach 3 Jahren sicher nicht mehr. Dass sich Frau von der Leyen nun für ihre Kritik (auch) an ihr selbst entschuldigt, macht die Sache nicht besser. Ihr Vorgänger - de Maizière von Münchhausen - hat aus seinem Versagen keine Konsequenzen ziehen müssen. Vielmehr darf er als Innenminister Deutschland ungehindert zum Überwachungsstaat ausbauen. Frau von der Leyen hätte wohl gehofft, ähnlich schnell den Posten wechseln zu dürfen. So aber holt sie ein, dass sie nur Symbolpolitik betrieben hat und die rechtsextremen (MAD) und korrupten (Beschaffungsamt) Strukturen nicht angreift sondern fortführt.

  • Auch die Bundeswehr ist ein ideologisches und gesellschaftliches Produkt der Reste des Dritten Reiches und der Wehrmacht in der deutschen Nachkriegsgesellschaft. Und hier insbesondere in Westdeutschland. Aber auch nachholend in Ostdeutschland. Ist doch auch hier es den wenigen Antifaschisten nicht gelungen, das kapitalfaschistische bürgerliche Gedankengut zu überwinden. Infolge der Implosion des realsozialistischen und gesellschaftspolitischen Experiments in Ostdeutschland, konnte sich auch dort die braune und hellbraune Ideologie in Teilen der Gesellschaft erneut und ohne nennenswerten linkspolitischen Widerstand ausbreiten.

     

    So bleibt es ungebrochen: “Waffen und Uniformen, klare Hierarchien und das Grundprinzip von Befehl und Gehorsam, der immer noch vorherrschende Korpsgeist: Es liegt in der Natur der Sache, dass die Bundeswehr anziehend auf autoritäre Charaktere bis hin zu militanten Neonazis wirkt. Das ist kein neues Phänomen, schon der schillernde Nazi-Kader Michael Kühnen verpflichtete sich einst als Zeitsoldat. Die Truppe war und ist „strukturell anfälliger“ für Rechtsextremismus als andere Bereiche der Gesellschaft“.

     

    Es bedürfte schon einer anderen Gesellschaftsformation, eben, die Beseitigung des Kapitalismus. Ein beliebiger Austausch der politischen Galionsfiguren -an der Spitze- führt zu keiner systemischen Befreiung von der faschistischen Ideologie. Ist doch der Kapitalismus das eigentlich permanente Problem.

    • @Reinhold Schramm:

      welche marke hast du geraucht, schön dass es dich gibt

  • Die einzige stimmige Lösung ist die Aktivierung der Wehrpflicht. Damit wird die Bundeswehr wieder in die Gesellschaft eingebunden und die planlosen Auslandseinsätze hören auf.

  • 3G
    32795 (Profil gelöscht)

    Wer glaubt, dass der Herr syrischer Flüchtling war, der glaubt auch, dass diese Masterarbeit eine wissenschaftliche Schlechtleistung ist.

     

    Unser kompletter Behördenapparat hat ein Führungsproblem, ganz oben an der Spitze hat er das...

  • Nix hinzuzufügen.