Kommentar zum Amri-Bericht: Natürlich wurden Fehler gemacht
Wer behauptet, der Anschlag auf dem Breitscheidplatz hätte verhindert werden können, macht es sich zu leicht – und bahnt den Weg für eine Law-and-Order-Politik.
Menschen machen Fehler – diese Binsenweisheit darf man auch bei der Nachbereitung des Falls Anis Amri nicht vergessen. Es ist im Rückblick eigentlich klar, dass die Sicherheitsbehörden vor, beim und nach dem ersten islamistischen Terroranschlag in Deutschland – jenen auf den Weihnachtsmarkt am Berliner Breitscheidplatz – nicht alles richtig machen würden. Manche ihrer Fehler sind unentschuldbar, etwa die Manipulation von Akten bei der Berliner Polizei. Andere wären vermeidbar gewesen. Das zeigt der Bericht, den der Sonderermittler des Senats Bruno Jost am Donnerstag vorgestellt hat.
Dennoch muss die jetzt vielfach verbreitete These, dass der Anschlag hätte verhindert werden können, ja müssen, wenn die Polizei die Überwachung von Amri nicht schleifen gelassen hätte, jeden Menschen irritieren, der Freiheit für ein Menschenrecht hält. Rund 80 sogenannte Gefährder, zu denen auch Amri zählte, leben in Berlin. Um einen von ihnen rund um die Uhr zu überwachen, braucht es laut Innensenator Andreas Geisel (SPD) etwa 30 Beamte.
Der Aufwand ist also immens, und es ist richtig, dass häufig geprüft wird, ob er auch gerechtfertigt ist. Denn Gesinnungsprüfungen stehen auf wackligem Grund. Jeder Linke weiß das. Der Fall Anis Amri, der von einem Tag auf den anderen keine Pornos mehr anschaute sondern islamistische Predigten, belegt es.
Auch die Tatsache, dass Amri wegen Drogenhandels hätte festgenommen werden können, muss einen solchen Anschlag nicht verhindern. Wer sagt, dass er deswegen so lange in Untersuchungshaft gesessen hätte, bis Weihnachten vorbei gewesen wäre? Und dass er sich danach kein anderes Ziel gesucht hätte?
Die Lehre aus der Sonderuntersuchung ist also nicht, dass der Anschlag hätte verhindert werden können. Sondern dass es noch viel unwahrscheinlicher ist, ein solches Attentat zu verhindern, als wir bisher dachten. Ändern ließe sich das nur durch beinharte Law-and-Order-Politik und grundsätzliche Einschränkung der Freiheitsrechte. Und das will niemand.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Wirtschaftsminister bei Klimakonferenz
Habeck, naiv in Baku
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit