Kommentar zu Pfefferspray-Einsatz: Tödliches Mittel der Deeskalation
Dass nach einem tödlichen Polizeieinsatz nur kurz ermittelt wird und nicht mal zentrale Zeugen befragt werden, ist beunruhigend. Dass durch Pfefferspray Menschen sterben können, beunruhigt noch viel mehr.
Wenn am Ende eines Polizeieinsatzes ein Mensch tot liegen bleibt, ist etwas gehörig schiefgelaufen. Im Fall von Slieman H. ist nichts anderes zu konstatieren. Sicher hat die Polizei das Recht, einen aufgebrachten, durch Drogen aufgeputschten Mann zur Räson zu bringen. Auch wäre es realitätsfern, dies allein von wohlwollenden Worte zu erwarten. Nichts aber rechtfertigt in solch einem Szenario einen Toten.
Umso befremdlicher erscheint, dass das Ermittlungsverfahren in diesem Fall im vergangenen Jahr nach nur wenigen Wochen eingestellt wurde - ohne dass zuvor naheliegendste Tatzeugen befragt wurden. Dass Strafanzeigen gegen Polizisten fast nie in Anklagen münden, hinterlässt schon so Fragezeichen. Dass aber selbst nach einem Todesfall zügig zur Tagesordnung übergangen wird, ist mehr als beunruhigend.
Eine unabhängige Ermittlerkommission bei Straftatverdachtsfällen gegen Polizisten zu fordern, ist das Mindeste. Wenn Kollegen zu den Vergehen von Kollegen ermitteln, ist nicht unbedingt Objektives zu erwarten. Wenn hier aber ein Mann durch eingesetztes Pfefferspray stirbt, muss die Forderung weiter gehen. Nicht zum ersten Mal hat dieses Reizgas für herbe Verletzungen gesorgt. In Verbindung mit Drogeneinfluss gilt es gar als lebensgefährlich. Zuletzt verstarb im Juni 2010 ein Deutschtürke in Dortmund, wahrscheinliche Todesursache: ein polizeilicher Pfeffersprayeinsatz. Solange auch nur der zarteste Verdacht besteht, dass mit diesem "Deeskalationsmittel" Menschen zu Tode kommen können, sollte dieses selbstverständlich ausgedient haben. Nur ein einziger durch Pfefferspray ausgelöster Todesfall ist einer zu viel.
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