Kommentar zu Meinungsbildung: Onlinepetitionen sind ernst zu nehmen
Alte Protest-Instrumente wie Demos und neue wie die Onlinepetitionen ergänzen sich gegenseitig. Das eine liefert schöne Bilder, das andere große Zahlen.
S ie sind schnell, sie sind effizient, und sie sind eine der politischen Überraschungen dieses Jahres. Mit Onlinepetitionen können kleine Gruppen schnell und ohne erheblichen Aufwand die große Öffentlichkeit erreichen - wenn ihr Anliegen den Nerv der Zeit trifft. Wer binnen weniger Wochen mehr als 130.000 Unterzeichner sammelt, wie die Petition gegen Internetsperren, der ist auch politisch ernst zu nehmen.
Die Onlinepetition ist das passende Instrument für das E-Mail-Zeitalter. Sie kann mit einem Klick unterzeichnet werden, und im Internet kann jeder zusehen, wie die Zahl der Unterstützer ständig wächst. Der Petitionsserver des Bundestags wird so zum virtuellen politischen Marktplatz.
Die Einführung von Onlinepetitionen verbessert auch unmittelbar die demokratische Teilhabe. Denn nur mit einem so schnellen Instrument in der Art eines Schneeballsystems können sich vom Mainstream vernachlässigte Teilöffentlichkeiten in einem kurzfristigen Gesetzgebungsverfahren wie zu den Internetsperren Gehör verschaffen.
Sind damit aber Demonstrationen, Besetzungen und all die anderen Aktionsformen der sozialen Bewegungen plötzlich old school? Ist das Verteilen von Flugblättern, das Malen von Transparenten, die Einrichtung von Stadtteilläden und so weiter bald nur noch eine romantische Ressourcenverschleuderung? Natürlich nicht.
Emanzipatorische Politik von unten lebt auch weiter vom unmittelbaren hitzigen Gespräch, von überraschenden Aktionen, vom Gemeinschaftsgefühl in der Masse, von telegenen Bildern für die "Tagesschau". All dies kann eine blässlich-blaue Onlinepetition nur bedingt befriedigen. Und sie muss es auch nicht. Schließlich führt das Aufkommen neuer politischer Handlungsformen keineswegs zwingend zum Verschwinden der bisherigen Aktionskultur.
Im Gegenteil. Alte und neue Instrumente ergänzen sich vorzüglich. Onlinepetitionen helfen, zügig eine kritische Masse zu mobilisieren und so öffentliche Aufmerksamkeit zu bekommen. Der eigentliche Protest wird weiter auf den Straßen und an den Bauzäunen dieser Republik stattfinden. Die Petition liefert also schnell die großen Zahlen und die Demo die bunten Bilder dazu.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Soziologische Wahlforschung
Wie schwarz werden die grünen Milieus?
Streit um tote Geiseln in Israel
Alle haben versagt
Nach Absage für Albanese
Die Falsche im Visier
Nach Taten in München und Aschaffenburg
Sicherheit, aber menschlich
Treibhausgasbilanz von Tieren
Möchtegern-Agrarminister der CSU verbreitet Klimalegende
Ägyptens Pläne für Gaza
Ägyptische Firmen bauen – Golfstaaten und EU bezahlen