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Merz’ erste RegierungserklärungDie Mitte ist leer

Stefan Reinecke
Kommentar von Stefan Reinecke

In seiner ersten Regierungserklärung offenbart Kanzler Friedrich Merz eine programmatische Lücke. Die dürfte schwer zu füllen sein.

Berlin, 14. Mai: Friedrich Merz bei der Regierungserklärung im Deutschen Bundestag Foto: Mike Schmidt/photowerkstatt/imago

F riedrich Merz will keinesfalls „mit einem ideologischen Großprojekt die Gesellschaft verändern“ – und dementiert damit energisch, was niemand wirklich vermutet hatte. Schwarz-Rot wird keine disruptive Regierung werden, kein Trumpismus light. Diese Regierung wird, umrankt von der üblichen Mutprosa, irgendwie so weitermachen wie bisher: In der Migration wird der Kurs noch einmal verschärft, über das hinaus, was die Ampel schon getan hat. Merz hat seine Hauruck- und Grenzen-dicht-Rhetorik etwas heruntergedimmt, man kann ja schlecht MigrantInnen rüde in Nachbarländer zurückweisen und sich gleichzeitig dafür feiern, Europa jetzt richtig voranzubringen.

Merz will ein außenpolitischer Kanzler werden. Sein Weltbild wirkt dafür etwas antiquiert: China taucht als Rivale auf, Trump als Partner, dem der Kanzler mit freundlichen Telefongesprächen den Weg in die westliche Wertewelt heimzuleuchten hofft. Es dauert noch eine Weile, bis Deutschland in der neuen, postwestlichen Weltordnung ankommt. Merz’ Regierungserklärung macht einen Hohlraum sichtbar, diese Regierung der Mitte ist programmatisch leer.

Nun ist der Kompromiss das Kennzeichen des bundesdeutschen Systems. Fast jeder wuchtig angekündigte politische Reißschwenk schrumpft in der bundesdeutschen Konsenskultur spätestens in der Koalitionsregierung zum pragmatischen Sowohl-als-auch. Bei Schwarz-Rot ist dieser Pragmatismus noch ausgeprägter. Dieser Regierung ist noch nicht mal eine brauchbare Selbstbeschreibung eingefallen, „Verantwortung“ ist kein Ziel, sondern eine Selbstverständlichkeit.

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Die Wählerschaft wollte keine Regierung des Fortschritts mehr, keine Politik, die fordert, steuert, anstrengend ist. Sie wollte Mitte, Kontinuität. Auffällig ist, dass dem Kanzler zum Klima wenig einfällt. Der Klimawandel scheint, verglichen mit der in grellen Farben gemalten Bürokratie, ein harmloses Phänomen zu sein. Seine Regierungserklärung fügt sich nahtlos in dieses Bild.

Zudem mixt sie Appelle (mehr arbeiten!) mit dem nicht sonderlich originellen Versprechen, gut zu regieren. Ob SPD und Union das ohne dauerndes Funkensprühen gelingt, ist zweifelhaft. Arbeitsministerin Bärbel Bas will 15 Euro Mindestlohn politisch anordnen, Merz lehnt das ab. So früh so viel Dissens ist kein gutes Zeichen.

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Stefan Reinecke
Korrespondent Parlamentsbüro
Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.
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