piwik no script img

Kommentar von Simone SchmollackRedenwir über Gesundheit

Der erste Text zur Bürgerversicherung erschien 1999 in der Süddeutschen Zeitung. Damals spielte Gesundheitspolitik eine bedeutende Rolle, es ging um nichts Geringeres als die Rettung des angeschlagenen Gesundheitswesens. Die Bürgerversicherung schien eine gute Lösung zu sein: alle für eine, eine für alle.

Einer der letzten Texte zur Bürgerversicherung findet sich dieser Tage auf dem Finanznachrichtenportal cash-online.de. Es ist ein Abgesang auf die Idee, die eine Zweiklassenmedizin verhindern sollte. Im aktuellen Wahlkampf spielt die Bürgerversicherung – im Gegensatz zu den vergangenen Bundestagswahlen – keine Rolle.

Und das, obwohl sich die Parteien in der Vergangenheit die Köpfe heiß geredet haben über Sinn und Unsinn einer Krankenversicherung, in die alle Menschen nach ihrem Einkommen einzahlen, sowie über das Gegenmodell, die „Kopfpauschale“, bei der alle unabhängig vom Einkommen denselben Beitrag leisten. Die Bürgerversicherung sollte private und gesetzliche Krankenkassen zusammenführen, auch Beamte und Selbstständige Mitglieder werden können. Dieses Modell sollte eine große Ungerechtigkeit aufheben: Wer Geld hat und sich privat versichern kann, wird bei Ärzten und in Krankenhäusern bevorzugt behandelt. KassenpatientInnen dagegen müssen lange auf Termine warten und sind – nach Stunden im Warteraum – im Durchschnitt zwei Minuten beim Arzt.

Wieso redet in diesen Wochen niemand über Gesundheitspolitik? Wieso sind PolitikerInnen wie Karl Lauterbach stumm geworden? Kein Name ist so eng verknüpft mit der Bürgerversicherung wie der des SPD-Mannes.

Jede und jeder – ob PatientIn oder MedizinerIn – kann ein Klagelied über die medizinische Versorgung in diesem Land anstimmen. Kliniken, OP-Säle, Pflege- und Geburtsstationen sind überfüllt, Personal überlastet, Hebammen geben auf. Auf dem Land fehlen MedizinerInnen, in den Städten steigt die Arztdichte, trotzdem werden PatientInnen mit schweren Gebrechen häufig wieder weggeschickt.

Mit Gesundheitspolitik ist kein Blumentopf zu gewinnen. Die Nerven liegen blank angesichts der zahlreichen „Gesundheitsreformen“ der vergangenen Jahrzehnte, die das Land durchlitten hat. Allein schon die Titel: „Gesundheitsstrukturgesetz“; „Gesetz zur Modernisierung der Gesetzlichen Krankenversicherung“. Gebracht haben sie keine Verbesserung für die PatientInnen, sondern höhere Kosten: mehr Zuzahlungen für Medikamente, Zahnersatz, Krankenhausaufenthalte, Kuren. Brillengestelle müssen jetzt bezahlt werden, das Krankengeld wurde gekürzt. ÄrztInnen bekamen die sogenannte Budgetierung aufgebrummt und dürfen für alle gesetzlich Versicherten nur noch eine bestimmte Geldmenge ausgeben.

Das System ist krank. Es ist Zeit, wieder über die Bürgerversicherung zu reden.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen