Kommentar von Katharina Schipkowski über die G20-Prozesse: Hohn und Spott für das Justizsystem
Eine „harte Bestrafung der Täter“, die an den Ausschreitungen zum G20-Protest schuld sind, hat Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) gleich mehrfach öffentlich gefordert. Jetzt bekommt er sie: Die Gerichte liefern wie bestellt. Die beiden Freiheitsstrafen, die bei den Verfahren gegen G20-Gegner am Montag und Dienstag verhängt wurden, sollen Exempel statuieren: „Wer sich an Ausschreitungen beteiligt hat, geht in den Knast.“
Dabei haben sich die beiden Verurteilten, der 21-jährige Peike S. und der 24-jährige Stanislaw B., wahrscheinlich gar nicht an Ausschreitungen beteiligt. S. sogar ganz sicher nicht – er wurde am Donnerstagabend festgenommen, saß also in Untersuchungshaft, als es zu den Krawallen kam. B. könnte theoretisch dabei gewesen sein – nur gibt es dafür keine Indizien, ihm wird etwas ganz anderes zur Last gelegt. Er wurde über eine Stunde vor Beginn der friedlichen Großdemo in 2,4 Kilometer Entfernung vom Startpunkt festgenommen, weil er Sachen dabei hatte, die man auf einer Demo nicht dabei haben darf.
In beiden Fällen argumentierten die Richter, man müsse den „generalpräventiven Aspekt“ bedenken. Das heißt: Man muss Leute davon abschrecken, Straftaten zu begehen. Die Richter geben zu, dass sie die Freiheit zweier Menschen opfern, um andere zu belehren. Wie kann das mit dem Rechtsstaat vereinbar sein?
Hier werden Menschen in Sippenhaftung genommen, indem sie für etwas bestraft werden, das andere getan haben. S. wurde explizit für die „bürgerkriegsähnlichen Zustände“ verantwortlich gemacht, die er aus der U-Haft verfolgen konnte. Das ist Hohn und Spott für ein Justizsystem, das individuelle Strafen für individuell nachweisbare Taten zur Prämisse hat. Aber die Richter nehmen, was sie kriegen können. Die, die randaliert haben, hat die Polizei nicht gekriegt. Für dieses Versagen müssen jetzt andere bluten.
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