Nichtbeachtung des Haasenburg-Leids: Und weiter wächst das Gras darüber
Eine Studie aus Bremen zum Haasenburg-Skandal hätte den Betrofffenen sehr helfen können. So aber gibt es keine Opfersicht aus offizieller Feder mehr.
H aasenburg, war da was? Ach ja, das Heim, das zu Unrecht geschlossen wurde, 2013. So stellte es jedenfalls ein Gericht zehn Jahre (!) später dar. Anhand der Akten der Einrichtung selbst. Betroffene wurden nicht gehört, eine Berufung nicht erlaubt.
Dabei basierte die Schließung in Brandenburg damals auf dem Bericht einer Kommission, die mit ehemaligen Bewohnern sprach und notierte, dass viele tief verletzt wirkten und glaubten, dass ihnen sowieso keiner glaube. Die zuständige Ministerin sprach von schematischen, drangsalierenden Erziehungsmethoden und erklärte die Einrichtung für nicht reformierbar.
Nur war dieser Bericht 2023 schon ziemlich vergessen. Die einstigen Bewohner aber wurden erwachsen, tragen das Erlebte mit sich herum, haben große Probleme, brauchen Hilfe und Entschädigung. Das Thema kam 2021 hoch, nachdem sich einer das Leben genommen hatte. Und wenigstens der Stadtstaat Bremen, wo die Linke mitregiert, nahm sich vor, etwas zu tun. Er entschuldigte sich und verabschiedete einen „Dringlichkeitsantrag“ für eine Studie, die dann so dringend nicht war.
Das ist sehr schade. Auch wenn es Datenschutz gibt und begrenzten Zugriff auf Akten anderer Bundesländer, mit ihren eigenen 16 Landeskindern, die Haasenburg und Friesenhof erlebten, hätte die Stadt schon sprechen und eine ordentliche Studie auf den Weg bringen können. Aber dafür gab es weder einen öffentlichen Aufruf noch einen Auftrag. Nach dem Motto: Bloß keine Bestärkung der Betroffenensicht aus offizieller Feder.
Wäre sie sofort begonnen worden, wäre die Studie fast fertig gewesen, als im November 2023 in Cottbus ein Gericht aus Akten ohne Zeugenanhörung Recht sprach. Sie hätte das Gras, das über jene erste Untersuchung gewachsen war, beiseite geräumt und die Erinnerung aufgefrischt. Sie hätte Kriterien für Unrecht und für Bedarfe aufstellen können.
Es ist Unsinn, dass man die ganze Jugendhilfe unter „Generalverdacht“ stellen würde, wenn es einen Entschädigungstopf für alle Opfer institutioneller Gewalt in Heimen seit der Vereinigung 1990 geben würde. Kriterien lassen sich klar benennen: Zwangssport, Isolation im Zimmer, Wegnahme persönlicher Sachen, körperliche Übergriffe bei „Fehlverhalten“. Das gab es bestimmt nicht in allen Jugendheimen. Und sollte die Zahl der zu Entschädigenden groß sein, dann ist es eben so.
Besonders ärgerlich ist, dass Bremen mit dem Antrag wieder Hoffnung gemacht hatte – und es den letztlich Verantwortlichen nicht wichtig war.
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