Kommentar von Bert Schulz zu den Konsequenzen aus dem Wahlchaos: Wahlwiederholung? Ganz oder gar nicht
Bert Schulzist Co-Leiter der Berlin-Redaktion.
Ein Gespenst geht um in der Landespolitik: Kommt es wegen der Pannen bei den Wahlen 2021 zumindest partiell zu Neuwahlen? Das Geraune darüber ist lauter geworden, nachdem am Mittwoch die vom Senat eingesetzte Expert*innenkommission ihren Abschlussbericht vorgelegt hat. Und seit sich die Ampelkoalition im Bund am Donnerstag auf eine Wiederholung der Bundestagswahl in 400 der 2.300 Berliner Wahllokale verständigt hat, ist eigentlich klar: Berlin kann in Kürze wieder in den Wahlkampfmodus schalten.
Bei der Wahl von Bundestag, Abgeordnetenhaus und Bezirksparlamenten sowie beim Enteignen-Entscheid am 26. September 2021 fehlten Stimmzettel oder wurden falsch ausgegeben; vielfach bildeten sich Schlangen vor Wahllokalen auch nach 18 Uhr. Laut der Senatskommission hat der damalige Innen- und heutige Bausenator Andreas Geisel (SPD), dessen Verwaltung die Aufsicht über die Wahlen hat, eine Mitschuld an dem Desaster. Zudem dürften, so die Kommission weiter, die unzumutbar langen Wartezeiten ein viel häufigeres Problem gewesen sein als bislang angenommen.
Ähnlich hatte Ende Mai der Bundeswahlleiter argumentiert und gefordert, dass die Bundestagswahl in sechs der zwölf Berliner Wahlkreise wiederholt wird. Es handle sich nicht um Einzelfälle, vielmehr habe es ein einzigartiges systematisches Versagen der Wahlorganisation gegeben. Die Einigung der Ampelkoalition, nur in 400 der 2.300 Wahllokale die Bundestagswahl zu wiederholen, dürfte daher noch nicht das letzte Wort sein. Die CDU/CSU-Fraktion spricht bereits vom Versuch, das „Wahldebakel kleinzureden“. Eine Wiederholung in nur kleinem Umfang würde das Vertrauen in demokratische Institutionen eher weiter erschüttern.
Eine Frage der Legitimität
Tatsächlich ist die Frage, in wie vielen Wahlkreisen die Abstimmung wiederholt wird, um deren Legitimität wiederherzustellen, ein zentraler Aspekt der Debatte. Bislang ging man auch bei Rot-Grün-Rot davon aus, dass in wenigen Wahlkreisen eine Wiederholung wahrscheinlich sei, weil dort angesichts eines sehr knappen Ergebnisses die Mandatsrelevanz hoch ist. Wenn nun die Defizite etwa bei der Ausstattung der Wahllokale ein berlinweites Problem waren, lässt sich damit auch eine Wiederholung der gesamten Wahl begründen.
Es wäre sogar die demokratietheoretisch sinnvollere Variante. Denn würde nur in einigen wenigen Wahlkreisen erneut gewählt, haftet dem Ergebnis ein – anderes – Legitimitätsproblem an: Die Wahlbeteiligung wird deutlich geringer ausfallen als im September 2021, der Wahlkampf sehr viel dezenter verlaufen, die Kandidat*innen müssen sehr viel härter um Aufmerksamkeit kämpfen; zudem hat sich die politische Ausgangslage seit September in vielerlei Hinsicht deutlich verändert. Am Ende ist es eine Teilwahl unter ganz anderen Bedingungen. Nur eine komplette Wiederholung mit einer intensiven öffentlichen Debatte im Vorfeld könnte für Ergebnisse sorgen, die auch von den Bürger*innen anerkannt werden.
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