Kommentar von Benno Schirrmeister über gequälte Rinder: Rätsel Mensch
Teufel, ja, natürlich lassen sich Videoaufnahmen faken. Und nein, noch hat kein IT-Forensiker es zertifiziert. Aber wer sollte sich die Mühe machen halbstündige und längere Videos zu basteln, in denen ein Kalb in der – dafür wirklich nicht gemachten – Beckenklammer hängt, oder mit einem Seil und einer Landmaschine in eine Rückenlage gebracht wird? Wer sollte Bilder davon montieren, wie ausgemergelte Altkühe mit wegknickenden Vorderläufen in schmerzhafter Kreuzstellung durch einen dunklen Stall tapsen, eine gefühlte Ewigkeit lang, bis sie endlich das Futter erreichen? Wer sollte in diese Aufnahmen Ohrmarken und Menschen schneiden, die zu dem Hof passen?
Angesichts des extremen Aufwands und des zweifelhaften Ertrags wäre das irre. Motivlosigkeit freilich steht auch auf der anderen Seite: Einen rationalen Grund, ein krankes Tier noch an seinem Bein aufzuhängen, mit der Mistgabel zu piesacken und den Dreck, in dem es liegt, nicht zu beseitigen, sondern ihn einfach nur zu bewegen, dient keinem erkennbaren Zweck. Aber: Aggressionen brauchen keinen rationalen Grund. Frust, Stress, psychischer Druck können schnell in Gewalt gegen wehrlose Kreaturen umschlagen.
Tatsächlich ist die Milchviehhaltung unter Druck. In der Coronakrise unbemerkt ist der Milchpreis unter 30 Cent gesunken, mal wieder, zu wenig,um Gewinn zu erwirtschaften. Je mehr man investiert hat, desto belastender sind solche Kostendeckungsprobleme. Und hier haben wir es mit kranken Tieren zu tun: Selbst, sie zum Abdecker zu bringen, müsste man noch bezahlen. Sie fressen. Sie machen Arbeit. Sie sind hier nur noch Kostenfaktoren.
Was soll ein Betrieb, der durchrationalisiert, sie nur als Produktionsmittel wahrnehmen will, mit so etwas anfangen? Sie haben keine Funktion mehr. Es sei denn, sie dienen der Triebabfuhr: nicht Mitgeschöpf, sondern Hassobjekt. Das wäre auch irre? Ja, das mag sein. Aber es ist leider ziemlich normal.
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