Kommentar von Benno Schirrmeister über die Nordkirche und ihr schlechtes Recht: Abgeben ist seliger, denn sich wieder zu nehmen
Zum Glück ist die Sache jetzt erst mal ein Jahr aufgeschoben. Das erlaubt die Korrektur. Aber rechtlich sitzt die Nordkirche wohl am längeren Hebel. Und solange auch die islamischen Verbände nur bekennende Muslime mit Idschaza, also Lehrerlaubnis, in Hamburgs Schulen schicken, wird man auch den Protestanten nicht verübeln können, dass sie ihr Privileg genauso ausnutzen: Auch in Hamburg verlangt die Nordkirche künftig wieder von Religionslehrer*innen faktisch die Mitgliedschaft in ihrem Klub. Das ist ihr schlechtes Recht. Sie gefährdet damit nämlich das dortige Modell eines bundesweit einzigartigen Religionsunterrichts für alle, kurz Rufa, das seit 2019 etabliert ist.
Es fasst das Fach eben nicht auf als Ort für Bekenntnisse und Missionierung. Möglich war es nur dank Hamburgs einsichtiger evangelischen Kirche. Bevor sie sich mit denen von Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern zusammentat, hatte sie faktisch ein Stückchen des ihr vom Grundgesetz zugebilligten Privilegs abgegeben, über den Religionsunterricht zu bestimmen. Das passte dazu, dass Lehrkräfte in Hamburg schon zuvor ohne formalen Nachweis der Glaubenstreue, also ohne Vocatio, einen zeitgemäßen, interreligiösen Unterricht erteilen durften, an dem abrahamitisch-religiöse, buddhistische, aber auch säkular erzogene Kinder die Gelegenheit haben, über Gott, seine Inexistenz und die Welt nachzudenken. Gemeinsam.
Durch die Rückkehr zu dem, was sie zutreffend als bundesweiten Standard bezeichnet, beendet die Nordkirche diese Regelung. Sie war eben doch nur eine Art Waffenstillstand. Schon fordern die ersten, das Wort „Religion“ aus dem Fachnamen zu streichen, was die Gottesanbeter nicht mitmachen werden; andere wollen, dass Ethik als Alternative angeboten wird und Atheistenverbände glauben, auch sie müssten Rufa-Lehrkräften berufen dürfen: Es wird nicht geschossen, in diesem aufbrechenden Konfessionskrieg, aber das, was wirklich gut war am Modell, geht flöten: der gemeinsame Unterricht, unabhängig von der Weltanschauung der Eltern.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen