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Kommentar von Barbara Dribbusch über neue Gerechtigkeitsdebatten in Zeiten von Klima, Krieg und InflationDie untere Mittelschicht fest im Blick

Wer sich derzeit mit Gerechtigkeitsdebatten befasst, muss sich ein bisschen für Mathe interessieren. Unablässig werden neue Studien, Tabellen und Grafiken angeliefert dazu, wer wie stark von Gaskrise, Inflation, Steuerreformen betroffen ist. In dieser Woche befeuerte die Vorlage zum Inflationsausgleichsgesetz von Finanzminister Christian Lindner (FDP) mit der Entlastung Gutverdienender die Diskussion. Aber auch die Forderungen der vielen Bedarfsgruppen von Familien, Rentner:innen, Geringverdienern, Un­ter­neh­me­r:in­nen könnten die Gesellschaft spalten und ein politisches Patt erzeugen.

Wer soll bezuschusst, wer entlastet werden? Es ist richtig, wenn die Wohlfahrtsverbände höhere Regelsätze für inflationsgeplagte Hartz-IV-Empfänger:innen fordern. Bei diesen Gruppen werden die Heizkosten in der Regel vom Jobcenter übernommen. Wer jedoch mit einem geringen Lohn oder einer kleinen Rente über der Einkommensgrenze für den Hartz-IV-Bezug liegt, muss alle Gaspreissteigerungen selbst stemmen. Diese Bedarfslagen der unteren Mittelschichten müssen zusätzlich in den Blick rücken.

Je nach Statistik zählen Alleinstehende mit einem Monatsnetto bis zu 1.500 Euro zur „unteren Mitte“, bei Familien liegen die Grenzen entsprechend höher. Nach einem Gutachten des IW-Instituts in Berlin ist die sogenannte Energiearmut auch bei den unteren Einkommensgruppen beständig gestiegen. Von „Energiearmut“ spricht man, wenn ein Haushalt mehr als 10 Prozent seines Einkommen für Energiekosten (ohne Benzin) ausgeben muss. Es wäre sinnvoll, die Energiekosten inklusive Gasumlage in Bezug zum Haushaltseinkommen zu setzen und staatliche Hilfen an dieser prozentualen Belastung auszurichten. Das staatliche Wohngeld könnte dafür ein Eingangstor sein. Die Einkommensgrenzen beim Wohngeld liegen derzeit je nach Lage bei 1.000 bis 1.200 Euro Monatsnetto für einen Single. Diese Grenze muss erhöht und Heizkosten müssen stärker subventioniert werden.

Um Akzeptanz für solche Hilfen, auch für deren Grenzen und für deren Finanzierbarkeit zu schaffen, ist ein politischer Mix nötig mit neuen Belastungen für Vermögende und Profiteure. Vorliegende Konzepte zu einer moderaten Reform der Erbschaftssteuer etwa sollten aufgegriffen und eine Übergewinnsteuer müsste in Angriff genommen werden. Mit einer Mischung aus begrenzten Zuschüssen und neuen Abgaben je nach Finanzstärke würde sich die Ampelregierung keine Freun­d:in­nen machen, vielleicht aber könnte man damit mittelfristig einen moralischen Konsens herstellen über Kriterien von Gerechtigkeit. Das Ringen um diesen Konsens könnte sich bald zur schwersten politischen Aufgabe entwickeln.

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