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Kommentar Zentralrats-DebatteUnwürdiges Spiel

Kommentar von Micha Brumlik

Es empfiehlt sich, die Führungs- und Richtungsquerelen des eher kleinen Zentralrats der Juden mit Respekt und Gelassenheit zu betrachten.

Manche mögen die Art und Weise, wie Charlotte Knobloch aus dem Amt gedrängt werden sollte, für elegant halten: Man lanciere Gerüchte und schweige dann dazu. Man mag sich fragen, welcher Teufel einen Redakteur der Zeit dazu bewogen hat, sich an diesem unwürdigen Spiel zu beteiligen.

Abgesehen von diesen Intrigen muss man sich jedoch den Realitäten stellen, die mit der symbolisch-historischen Rolle von Juden in Deutschland zu tun haben. Ein Verband mit etwas mehr als 100.000 Mitgliedern wäre in einer Bevölkerung von etwa 80 Millionen eine quantité négligeable - wäre nicht die NS-Vergangenheit. Wie viele organisierte Buddhisten gibt es hierzulande eigentlich?

Zu wenig ist bekannt, dass der Zentralrat samt seinem Direktorium, seinem Generalsekretär und seinem Vorsitzenden schlicht und ergreifend nur ein Dachverband von Landesverbänden und größeren Gemeinden ist, in deren Hand alles Wesentliche liegt.

Gewiss, es war der Zentralrat, der der Bundesregierung als Ansprechpartner für die Zuwanderung aus der GUS galt. Gleichwohl: Die neuerdings oft gehörte Klage, zu wenige dieser Immigranten seien in Führungspositionen vertreten, findet ihre Ursache weder in einer angeblichen Rückwärtsgewandtheit von Frau Knobloch noch in zu vielen Presseerklärungen ihres Generalsekretärs, sondern darin, dass in den Gemeinden zu wenige Immigranten kandidieren und - falls ja - gewählt werden, obwohl sie über eine Stimmenmehrheit verfügen.

In diesem Zusammenhang gilt auch, das die nichtjüdische Öffentlichkeit gut beraten wäre, sich nicht an einer Debatte zu beteiligen, wen die Gemeinden als Mitglieder anerkennen sollten. Das Prinzip, dass Jude oder Jüdin nur ist, wer von einer jüdischen Mutter geboren wurde oder konvertiert ist, verdeutlicht, dass das Judentum eine Religion ist. In der ehemaligen Sowjetunion galten Juden als Volk, weshalb der Vater für den Status ausschlaggebend war. Ist es das Interesse der deutschen Öffentlichkeit, das Judentum zu ethnisieren? Aus all diesen Gründen empfiehlt es sich, die Führungs- und Richtungsquerelen eines eher kleinen Verbandes mit Respekt und Gelassenheit zu betrachten.

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Autor und Kolumnist
1947 in der Schweiz geboren, seit 1952 in Frankfurt/Main. Studium der Philosophie und Pädagogik in Jerusalem und Frankfurt/Main. Nach akademischen Lehr- und Wanderjahren von 2000 bis März 2013 Professor für Theorien der Bildung und Erziehung in Frankfurt/Main. Dort von 2000 bis 2005 Direktor des Fritz Bauer Instituts – Studien- und Dokumentationszentrum zur Geschichte des Holocaust. Forschung und Publikationen zu moralischer Sozialisation, Bildungsphilosophie sowie jüdischer Kultur- und Religionsphilosophie. Zuletzt Kritik des Zionismus, Berlin 2006, Sigmund Freud. Der Denker des 20. Jahrhunderts, Weinheim 2006 sowie Kurze Geschichte: Judentum, Berlin 2009, sowie Entstehung des Christentums, Berlin 2010.Darüber hinaus ist er Mitherausgeber der „Blätter für deutsche und internationale Politik.“

2 Kommentare

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  • S
    Syntaxproblem

    "....sondern darin, dass in den Gemeinden zu wenige Immigranten kandidieren und - falls ja - gewählt werden, obwohl sie über eine Stimmenmehrheit verfügen".

    Hä?

  • IO
    Ingrid Oswald

    Ich beziehe mich auf den Kommentar von Micha Brumlik und darin insbesondere auf den Satz: "In der ehemaligen Sowjetunion galten Juden als Volk, weshalb der Vater für den Status ausschlaggebend war."

     

    Richtig ist, dass jede Person neben der sowjetischen Staatsbürgerschaft eine "Nationalität" in seinen Personaldokumenten registriert hatte. Waren beide Eltern derselben Nationalität, so bekam ein Kind automatisch dieselbe. Waren die Eltern jedoch unterschiedlicher Nationalität, so musste sich das Kind im Alter von 16 Jahren für eine dieser beiden entscheiden. Es konnte keine andere (also dritte) wählen, bekam aber keinesfalls die Nationalität des Vaters aufgezwungen.

     

    Da die meisten bi-nationalen Ehen mit einem russischen Partner geschlossen wurden, konnten die Kinder aus solchen Ehen immer zwischen der russischen und einer anderen Nationalität wählen. Tatsache ist, dass weit häufiger dann die russische als eine "andere" gewählt wurde, so dass im Vergleich zu anderen Nationalitäten die russische in der Bevölkerung immer mehr zunahm.

     

    Man sollte den Jüdischen Gemeinden nicht Empfehlungen ihrer Anerkennungspraxis geben, man sollte aber zur Kenntnis nehmen, wie die "Nationalitäten"-Zuteilung in der Sowjetunion war. Dann kann man nämlich einige der Streitpunkte auch verstehen, aber nur dann.