Kommentar Wiener Flüchtlingsgipfel: Vor allem Grenzen sichern
Es ging in Wien nicht darum, die Migration in geordnete Bahnen zu lenken. Die europäische Flüchtlingspolitik war schon mal weiter.
D ie Außengrenzen sichern, die Balkanroute dicht halten, Frontex stärken, Drittstaatenabkommen zwecks Abschiebung abgelehnter Asylbewerber ausdehnen: Dies waren die Stichworte des Flüchtlingsgipfels von Wien.
Schließlich gelte es, so EU-Ratspräsident Donald Tusk, den Zugang „illegaler Migranten“ zu verhindern. In diesem Ansatz jedoch ist impliziert, dass a priori alle Migranten illegal sind, schlicht weil legale Zugangswege gar nicht vorgesehen sind. Vor wenigen Monaten noch schien es, als wäre die Diskussion in Europa ein Stück weiter.
Wer Schleusern das Handwerk legen wolle, hieß es damals, der müsse über sichere Zugangswege für politisch Verfolgte und Kriegsflüchtlinge nach Europa nachdenken, also über Möglichkeiten, Asyl oder humanitären Schutz nicht erst nach einer lebensgefährlichen Bootsfahrt zu beantragen. Und wer die Migration in geordnete Bahnen lenken wolle, komme an einer Einwanderungspolitik, die diesen Namen verdient, nicht vorbei.
Stattdessen gilt jetzt wieder: zurück auf Los, auf jenen Stand, auf dem Europa jahrelang verharrt hatte. Vielen mag es zum Beispiel einleuchten, dass abgelehnte Asylbewerber leichter abgeschoben werden sollen. Doch die Praxis zeigt, auf welch rutschiges Gelände Europa sich hier begibt. So schloss Italien vor wenigen Wochen erst ein Abkommen mit dem Sudan, am 24. August dann wurden 48 Sudanesen in einer Blitzaktion von Turin aus in ihr Heimatland ausgeflogen. Wie das – weiterhin geheime – Abkommen lautet, ob die Abgeschobenen überhaupt Zugang zu einem regulären Asylverfahren hatten: Keiner weiß es. Allzu bekannt ist aber, wie es im Bürgerkriegsland Sudan um die Menschenrechte bestellt ist.
In letzter Konsequenz könnte so die ganze Welt zu einer Summe sicherer Herkunftsstaaten erklärt werden. Meinte Kanzlerin Merkel dies, als sie auf dem Wiener Flüchtlingsgipfel von „humanitärer Verantwortung“ sprach?
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Der Jahrestag der Ukraine-Invasion
Warum Russland verlieren wird
Wahlsieg der Union
Kann Merz auch Antifa?
Sieger des rassistischen Wahlkampfes
Rechte Parolen wirken – für die AfD
Alles zur Bundestagswahl
Oma gegen rechts hat Opa gegen links noch nicht gratuliert
Nach der Bundestagswahl
Jetzt kommt es auf den Kanzler an
Wahlniederlage von Olaf Scholz
Kein sozialdemokratisches Wunder