Kommentar Weltfinanzsystem: Patient tot, Ärzte warten ab
Das Weltfinanzsystem ist komatös, trotzdem hoffen die Finanzminister der G-20-Länder auf seine Selbstheilungskräfte. Nach der Genesung muss aber die Börsenumsatzsteuer her.
Die Finanzmärkte können derzeit nur mit Hilfe intensiver Geldspritzen und verbaler Beruhigungspillen am Leben gehalten werden. Doch der operative Eingriff am offenen Herzen der Weltwirtschaft, der für eine langfristige Genesung unentbehrlich ist, steht noch aus.
Darüber haben am Wochenende die Finanzminister der zwanzig wichtigsten Industrie- und Schwellenländer debattiert. Das Votum der Fachärzte drei Wochen vor dem G-20-Gipfel setzt nicht auf radikale Schritte. Der Patient soll vor allem besser beobachtet werden. Das zeugt von großem Vertrauen in die Selbstheilungskräfte der Wirtschaft.
Dabei ist das bisherige Weltfinanzsystem faktisch zusammengebrochen und liegt im Koma. Der lebenserhaltende Maschinenpark aus staatlichen Garantien, Beteiligungen und Konkunkturprogrammen piept vor sich hin. Klar ist: Wenn der Patient irgendwann mal wieder von diesen Schläuchen loskommen soll, darf es nicht so weitergehen wie vorher. Doch dieser Gedanke hat bei den Finanzministern keinen Platz. Sicher ist es richtig, dass künftig auch Hedgefonds endlich der Finanzmarktkontrolle und Regulierung unterliegen werden. Dass der Internationale Währungsfonds mehr Geld für Nothilfen in bestimmten Ländern haben soll, ist auch kein Fehler. Und wenn sich die Machtverhältnisse beim IWF dadurch zugunsten des Südens ändern, wäre das zu begrüßen.
Aber einem schwer herzkranken Patienten muss das Rauchen verboten werden, anstatt die Inhaltsstoffe der Zigaretten besser zu überwachen und eine größere Sauerstoffflasche für den Notfall bereitzuhalten. Man könnte auch, um nicht zu restriktiv zu wirken, die Tabak- und Alkoholsteuer so stark erhöhen, dass die Hemmschwelle steigt und die Renditen der Allgemeinheit zukommen.
Für die G 20 bedeutet das: Her mit der Börsenumsatzsteuer! Warum wird über neue Konjunkturprogramme gestritten, aber nicht über die fairste Möglichkeit zu Gegenfinanzierung, nämlich eine Steuer auf jede Form von Spekulation? So eng wie jetzt saß die internationale Hochfinanz seit Bretton Woods nicht mehr zusammen. Diese Gelegenheit sollte die G 20 nicht verstreichen lassen.
STEPHAN KOSCH
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