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Kommentar WahlrechtMehr Demut wagen

Stefan Reinecke
Kommentar von Stefan Reinecke

Die Union missbraucht das Wahlrecht als Bühne für parteitaktische Spielchen. Das ist verstörend, geht es doch um das Herz der Demokratie.

D ie Union hat allen Grund in Sachen Wahlrecht ein wenig bescheiden aufzutreten. Das Bundesverfassungsgericht hat das schwarz-gelbe Gesetz in der Luft zerrissen. Schwarz-Gelb hatte dieses Gesetz auf eigene Faust und ohne die Einigung mit SPD und Grünen zu suchen durchgeboxt. Es stimmt: Auch die SPD verfolgt beim Wahlgesetz eigenützige Ziele und präferiert eine Regelung, die ihr wahrscheinlich nutzt.

Aber das ist legitim, ebenso dass die Union das Gleiche versucht. Weniger legitim ist es indes, dass Union und FDP anstatt einen Kompromiss zu suchen auf ihre eigene Mehrheit und Macht gesetzt haben. Denn das Wahlgesetz berührt die Belange aller Parteien, ja das demokratische Verfahren im Kern. Das haben Union und FDP ignoriert. Das war schlechter parlamentarischer Stil. Und eben verfassungswidrig.

Der Eindruck, den die schwarz-gelbe Politik vermittelt, ist zudem verstörend. Wenn die Politik noch nicht mal ihre ureigenen Belange, die technisch schwierig, aber keineswegs unlösbar sind, unfallfrei in den Griff bekommt – wie soll sie es da mit echten Gegnern wie den Finanzmärkten aufnehmen können?

Bild: taz
STEFAN REINECKE

ist Redakteur im Parlamentsbüro der taz.

Doch die Union scheint sich halsstarrig zu weigern die Lektion zu lernen. Das zeigt die Ankündigung nun mit SPD und Grünen, nicht aber mit der Linkspartei ein neues verfassungskonformes Wahlgesetz auszuhandeln. Die Union schneidet die Linkspartei im parlamentarischen Betrieb wo es nur geht. Das mag man dumm, ideologisch borniert oder rückwärtsgewandt finden. Aber es ist etwas anderes, ob die Union die Linkspartei ausgrenzt, wenn es um Beschneidung oder Hartz IV geht oder um das Wahlrecht.

Denn das Wahlrecht ist die Basis der parlamentarischen Demokratie. Es ist falsch, es als Bühne für parteitaktische Spielchen zu missbrauchen. Die Union stände nach dem Fiakso ihres Wahlgesetzes mehr Einsicht und Demut gut an.

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Stefan Reinecke
Korrespondent Parlamentsbüro
Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.
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6 Kommentare

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  • D
    Dr.Noetigenfalls

    Wie viel Demut solls denn sein? Damit der Eigennutz als Vorteil Bereicherung legitimiert, um Optimiert und als Kern von Demokratie durch Presse und TV dem Bürger und zum Ausdruck gebracht. Steht wieder ein neuer Angriffskrieg bevor, oder wurde das Grund-Gesetz als Alternativlos und dann Ersatzlos gestrichen und ist in den EU-Verträgen wieder aufgegangen?

     

    Die Nationalhymne und Herr Bundespräsident machte bei einer Rede vor Soldaten darauf aufmerksam, der Text wird zum Nachteil des Glücks wohl auch geändert?

     

    Wer mit Demokratie und Freiheit leichtfertig umgeht verliert beides.

  • W
    WuchtBuerger

    @Andre

    Prinzipiell gebe ich Ihnen Recht, was den Mehrbedarf an Demokratie betrifft.

    Allerdings gebe ich zu bedenken, dass dieses Mehr an Demokratie von einem Volk ausgeübt wird, das zu einem großen Teil regelmäßig eine deutsche Boulevardzeitung ließt. Und ich gehe mit, an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, davon aus, dass als erstes Gesetz die Todesstrafe für Kinderschänder eingeführt wird...

  • N
    Normalo

    1. Von einem Wahlrecht profitiert man immer nur so lange, wie das Abstimmungsverhalten der Bürger konstant bleibt. Bei der dramatischen Abschwächung der Parteienbindung der Wähler in den vergangenen Jahrzehnten geht es daher (in der Sache) wohl eher um unterschiedliche Prioritäten zwischen den drei Polen "Zweitstimmenproporz", "Länderproportz" und "Direktwahlelment".

     

    2. Wenn die Aufgabe, diesen Dreibein-Spagat verfassungskonform zu schaffen, "schwierig, aber lösbar" sein soll, dann nur zu, Herr Reinecke, lassen Sie uns an Ihrer Weisheit teilhaben!

     

    3. Dass die Koalition die Nachfolgepartei der SED nicht gerade für das Kometenzzentrum für faire Wahlen in der deutschen Parteienlandschaft hält, kann man ihr eigentlich kaum übel nehmen. Zumal sich die Parteiführung der Linken auch stets alle Mühe gibt, noch bestehende Zweifel an ihrer Distanz zur DDR irgendwie am Leben zu halten.

     

    4. Die Linke tendiert zur Fundamental-Opposition. Eine Einigung mit der CDU über irgendein Thema ist für sie an sich schon etwas wenig Erstrebenswertes (das gilt auch umgekehrt, aber in schwächerer Form). Warum also die Zeit mit Verhandlungen verschwenden, die für eine tragfähige Mehrheit nicht benötigt werden und ohnehin im Zweifel scheitern?

  • A
    André

    Ich kann die Legitimität auch nicht erkennen, bei dem Versuch das Wahlrecht zum eigenen Vorteil zu verändern.

     

    Ich glaube es ändert sich erst dann etwas zum besseren in der deutschen Teil-Demokratie, wenn die Bürger das letzte Wort haben. Die politischen Parteien im Bundestag interessieren sich für die Bürger nur, wenn es ihnen selber oder ihrer Karriere nutzt.

     

    Wir müssen den polit. Parteien soviel Druck und Dampf in der Bude machen, dass sie gar nicht anders mehr können als endlich die Parteienmonarchie abzuschaffen. Weg vom REGIERT werden hin zum Bürger in der Endverantwortung. Direkte Demokratie mit Vernehmslassungsverfahren, obligatorischen und fakultativen Bürgerentscheiden auf allen Ebenen: Gemeinde, Land, Bund.

     

    Die polit. Parteien haben jeden Respekt vor dem Bürger verloren !

  • WL
    Wahlmanipulation legitim?

    Sie schreiben:

     

    "Schwarz-Gelb hatte dieses Gesetz auf eigene Faust und ohne die Einigung mit SPD und Grünen zu suchen durchgeboxt. Es stimmt: Auch die SPD verfolgt beim Wahlgesetz eigenützige Ziele und präferiert eine Regelung, die ihr wahrscheinlich nutzt.

     

    Aber das ist legitim, ebenso dass die Union das Gleiche versucht."

     

    In Ihrem Artikel bringen Sie eine etwas sonderbare Auffassung von demokratischen Wahlen zum Ausdruck. Was bitte ist daran legitim, wenn Parteien versuchen, das Wahlrecht zu ihren Gunsten zu verbiegen?

  • E
    e.a.

    Es ist schon dumm und ideologisch verbohrt... vor allem, wenn man bedenkt, dass die CSU und die Grünen prozentual schwächer sind als die Linken im Bundestag.

    Aber Verfasungskonformität sollte man von den aktuellen Regierungsparteien nicht verlangen. Schließlich profitierte die Union am meisten vom verfassungswidrigen Wahlgesetz bisher.