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Kommentar Wahl VenezuelaDas linke Lager atmet auf

Jürgen Vogt
Kommentar von Jürgen Vogt

Chavéz erreicht die Unterschicht noch immer wie kein anderer. Doch nicht nur in Venezuela hat man registiert, dass die rechte Opposition aufgeholt hat.

U nd wieder hat es Hugo Chávez allen gezeigt. Bereits zum vierten Mal in Folge hat er der Welt eine Lektion erteilt, um es mit seinen Worten zu sagen. Was wurde nicht spekuliert über den Zustand der präsidialen Krebserkrankung, über den jungdynamischen Shootingstar der vereinigten Mitte-rechts-Opposition? Letzterem wurde noch wenige Stunden vor der Wahl ein technisches Unentschieden zugetraut.

Mit knapp zehn Prozent Unterschied hat Chavez seinem Herausforderer die Grenzen aufgezeigt. Auch ohne detaillierte Wahlanalyse ist klar, dass Capriles nicht die nötigen Stimmen aus der Unterschicht bekommen hat. Die Hochburgen von Hugo Chávez sind noch immer die roten Backsteinhäuschen an den Hängen von Caracas und anderswo. Dort lebt die entscheidende Mehrheit der venezolanischen Bevölkerung und die erreicht der Commandante noch immer wie kein anderer.

Für Capriles Anhängerschaft geht dagegen ihr Trauma mit der bolivarianischen Revolution weiter. Noch ruft niemand „Wahlfälschung“. Aber wer derart von einem Sieg überzeugt war, wird die Klatsche vom Sonntag nur als Betrug akzeptieren. Nicht wenige überlegen, die Koffer zu packen. Ob sie es wirklich tun ist offen. Denn wer durch ihre Wohnviertel streift, bekommt nicht den Eindruck, dass wirtschaftliche Not sie außer Landes treibt.

Der Autor

Jürgen Vogt ist Lateinamerika-Korrespondent der taz und derzeit in Caracas, Venezuela.

Das Aufatmen über Chávez’ Sieg war jedoch nicht nur bei seiner venezolanischen Anhängerschaft zu hören. Die ganze Linke in der Region wartete am Sonntag auf das Ergebnis. Ideologische- und wirtschaftliche Interessen dürften sich dabei die Waage gehalten haben. Allen voran Kuba hat sich für weitere sechs Jahre günstige Öllieferungen gesichert. Doch auch dort wird registriert, dass die rechte Opposition aufgeholt hat und man weiß ganz genau wie es um Chávez‘ Gesundheit steht.

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Jürgen Vogt
Korrespondent Südamerika
Kommt aus Karlsruhe. Studierte Politische Wissenschaft in Hamburg und Berlin und arbeitete zwölf Jahre als Redakteur und Geschäftsführer der Lateinamerika Nachrichten in Berlin. Seit 2005 lebt er in Buenos Aires. Er ist Autor des Reisehandbuchs “Argentinien”, 2024, Reise Know-How Verlag.
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7 Kommentare

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  • V
    Venelulu

    Klar hat Chavez legitim und demokratisch gewonnen. Er ist ein "LUPENREINER" Demokrat! Seltsam nur die TATSACHE dass er VOR der Wahl dem Volk klar gemacht hat, dass es BÜRERKRIEG geben wird, sollte er verlieren. Er hat massiven Druck auf die verstaatlichten Betriebe und deren Belegschaft gemacht. Mit Kündigungen gedroht, sollte ein Staatsmitarbeiter nicht für ihn wählen. Das Volk zieht den FRIEDEN vor. Es gibt mancherorts kein BENZIN, keine Lebensmittel, selbst der Strom fehlt dort bis zu 6 Stunden täglich... Den Opositionellen Kandidaten hat er mehrmals öffentlich als "SACKKRAULER", schwulen Juden und als NAZI beschimpft. Alles demokratisch legitim?

  • VB
    Volker Birk

    Man sieht, wie lächerlich und manipuliert die Berichterstattung war.

     

    Chavez müsse um seinen Posten fürchten, hiess es. Er sei am Ende, hiess es. Ein "Kopf-an-Kopf-Rennen" finde statt, so konnte man allenthalben lesen.

     

    Und nun 10% Unterschied. Ich komme mir an der Nase herumgeführt vor.

  • W
    Waage

    Immerhin beruhigend, dass "Mitte(!?)- Rechts" sich die Wahlsiege nicht einfach so kaufen kann und das ihnen bei aller selbst angemaßten medialer Deutungshoheit mal die Grenzen aufgezeigt werden.

     

    Interessieren würde mich aber ob Chavez mehr ist als ein linker Populist. Gibt es zumindest, bei allen Fehlern, einen ernsthaften Versuch die Klassenschranken in seinem Land aufzubrechen oder steht in seiner vierten Amtszeit nur noch Opportunismus, Vetternwirtschaft und rustikaler Machterhalt in seiner Agenda?

     

    Hat er nach seiner langen Regierungszeit etwas an sozialem Fortschritt vorzuweisen welcher in einem breiteren gesellschaftlichen Konsens übernommen werden kann, also von Dauer ist?

     

    Bedeutet: ist sein Wahlsieg überhaupt zu begrüßen?

     

    Die taz sollte dazu mehr Hintergründe liefern!

  • S
    saalbert

    "Ideologische- und wirtschaftliche Interessen" - Ein interessanter Bindestrich.

  • S
    shenanigans

    Viva la Revolución! Schimpft sich das bei Ihnen investigativer Journalismus? Herr Vogt glaubt also an faire Wahlen in einem Land, dass seit '99 unter Chavéz stöhnt. Einem Land, in dem die letzten demokratischen Strukturen mit dem nächsten Term beseitigt werden. Man kann nur hoffen, dass in der Tat, natürliche Umstände für eine möglichst schnelle Reise in die ewigen Jagdgründe des Genossen Chavéz sorgen.

  • T
    Tommy

    Man sollte aufhören, in den alten Kategorien rechts und links zu denken und zu schreiben. Es geht wie überall um oben und unten. Der Kandidat der unteren Mittel- und der Unterschicht hat sich durchgesetzt und wird eine Politik des Ausgleichs zwischen oben und untn fortsetzen. Punkt. Kommt wieder eine Marionette des Kapitals an die Machet, wird wieder von unten nach oben verteilt. So war und ist es. Bei uns ist seit Jahrzehnten die Oberschicht an der Macht und setzt die Umverteilung von unten nach oben "alternativlos" rüchsichtslos um. Wir brauchen angesichts des kürzlich veröffentlichten Armuts- und Reichtumsberichts keinen Chavez, wohl aber wieder einen Lafontaine, damit in Deutschland die soziale Balance wieder gerade gerückt wird. Alles andere schadet der Demokratie!

  • JJ
    Jared J. Myers

    Die Frage ist, wann endlich die Leute aus den "ranchos" an den steilen Hängen von Petare und aus den ärmlichen Klötzchensiedlungen im Inland herauskommen, an einer boomenden Wirtschaft teilhaben und sich nicht mehr zur "Unterschicht" zählen.

     

    Erst, wenn Chavez' bisherige Klientel in der Mittelschicht aufgeht und nicht mehr auf die "misiones" angewiesen ist, hat das Projekt der "Revolución Bolivariana" Erfolg gehabt.

     

    Das Paradoxe daran ist, dass etliche der Aufsteiger dann ihre Stimmen der Opposition geben dürften: Sobald nicht mehr die Armut, sondern die latente Gefahr durch Kriminalität das Bewusstsein bestimmt und man etwas zu verlieren hat, will man plötzlich besser vor den Habenichtsen geschützt werden.