Kommentar Waffen für die Kurden: Die verschärfte Merkel-Doktrin
Die Große Koalition justiert die Außen- und Militärpolitik langsam, aber sicher neu. Zum Fürchten ist die Verlagerung von Kompetenz in die Exekutive.
V ielleicht sind wir schon so an die mittlere Temperatur der Merkel-Ära gewöhnt, dass einschneidende Änderungen gar nicht mehr auffallen. Die Große Koalition ist dabei, die Außen- und Militärpolitik neu zu justieren – langsam, aber zielgerichtet. Joachim Gauck redet deutschen Militäreinsätzen in Notfällen das Wort. Das Entscheidende ist, dass er für Einsätze bereits bei Verstößen gegen Menschenrechte plädiert – und nicht nur, wie in der Schutzveranwortung der UNO fixiert, bei Genoziden. Verletzungen der Menschenrechte – da öffnet sich ein weites Feld für Interventionen.
Unter Federführung von Volker Rühe brütet derzeit eine Kommission, wie sich der Parlamentsvorbehalt, der Bundeswehreinsätze so schwergängig macht, lockern lässt. Schwarz-Rot will nicht unbedingt Soldaten ins Ausland schicken – dafür ist das Desaster in Afghanistan noch zu präsent. Aber Merkel will elastischer sein. Da sind ewige prinzipielle Debatten und langwierige Verfahren lästig.
In dieses Bild passt, wie die Regierung die Waffenexporte aus Beständen der Bundeswehr in den Nordirak behandelt. Verteidigungsministerin von der Leyen hält diese Lieferungen für einen Tabubruch. Die Milan-Raketen für die Kurden sind die Eintrittkarte für eine verschärfte Version der Merkel-Doktrin. Bundeswehreinsätze? Lieber nicht. Doch wenn es im deutschen Interesse ist, werden großzügig Waffen exportiert und Ausbilder entsandt. Am Horizont taucht die Idee von Deutschland als Großmacht auf, die in Stellvertreterkriegen mitmischt.
Zum Fürchten sind nicht die Waffen für den Irak allein, da gibt es viele Argumente pro und contra. Zum Fürchten ist die kalte Verlagerung von Kompetenz in die Exekutive. Und die Verwandlung des Parlaments in eine Fassade.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut
SPD im Vorwahlkampf
Warten auf Herrn Merz