Kommentar WTO-Verhandlungen: Scheitern ist auch keine Lösung
Globalisierung darf nicht über Leichen gehen. Dass will die WTO einfach nicht wahrhaben. Das Scheitern der Verhandlungen nutzt aber niemandem.
E rnährungssicherheit vor Freihandel – mit dieser Forderung bringt Indien möglicherweise die einstmals so mächtige Welthandelsorganisation WTO zu Fall. Längst haben Untersuchungen belegt, dass der freie Welthandel nicht für alle Wohlfahrtsgewinne bringt.
Es gibt immer auch Verlierer: Arbeiter in international nicht wettbewerbsfähigen Fabriken oder Kleinbauern, die den großen Agrarkonzernen nichts entgegensetzen können.
Globalisierung darf nicht über Leichen gehen. Dass die WTO diesen Umstand einfach nicht wahrhaben wollte, ist wohl der wesentliche Grund für ihr Scheitern.
Bei der Welthandelskonferenz auf Bali rückt eine Kompromisslösung für das erste größere Abkommen zur Liberalisierung des globalen Handels näher. Es bestehe die reale Chance, noch am Freitag eine Einigung zu erreichen, sagte der Stellvertretende Generaldirektor der Welthandelsorganisation (WTO), Karl Brauner.
Zuvor hatten Unterhändler Indiens, der USA sowie der EU und weiterer Länder bis zum frühen Freitagmorgen mit WTO-Generaldirektor Roberto Roberto Azevêdo nach einer Lösung gesucht. Das Haupthindernis für die Verabschiedung des Bali-Pakets ist eine Forderung Indiens. Indien will eine unbefristete Ausnahmeregelung zur Überschreitung von WTO-Quoten bei der Subventionierung eines Programms zur Versorgung von 820 Millionen armen Menschen mit Reis und Getreide. (dpa)
Die auf Bali geäußerte Kritik, das indische Ernährungsprogramm nütze den ärmsten der Kleinbauern wenig, kann nicht als Rechtfertigung für Freihandel à la WTO herhalten.
Die logische Konsequenz wäre allenfalls eine bessere Ausgestaltung des Programms. Auch muss einen nicht beunruhigen, dass sich einige Entwicklungsländer über Indiens Haltung empörten. Es handelt sich meist um Schwellenländer, die als große Agrarexporteure ihrerseits den Weltmarkt dominieren wollen.
Das eigentliche Problem lautet: Ist das Scheitern der WTO wirklich so erfreulich, wie es auf den ersten Blick erscheint? Die Alternative zur WTO gibt es längst: Die großen Handelsmächte schließen bilaterale Abkommen – teils untereinander wie derzeit die USA und die EU mit ihrem transatlantischen Freihandelsabkommen, das in erster Linie die Interessen großer Investoren bedient, teils mit einzelnen Handelspartnern aus dem Süden, die sich so allein am Verhandlungstisch gegen die Zumutungen der Industrieländer kaum zur Wehr setzen können.
Mit dem Scheitern des Bali-Pakets ist also noch nichts gewonnen. Der Kampf gegen den ungehemmten Freihandel geht damit lediglich in die nächste Runde.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach Taten in München und Aschaffenburg
Sicherheit, aber menschlich
Streit um tote Geiseln in Israel
Alle haben versagt
Soziologische Wahlforschung
Wie schwarz werden die grünen Milieus?
Comeback der Linkspartei
„Bist du Jan van Aken?“
Krieg in der Ukraine
Keine Angst vor Trump und Putin
Polarisierung im Wahlkampf
„Gut“ und „böse“ sind frei erfunden