Kommentar Vorratsdatenspeicherung: Deutschland ist erfreulich widerständig
Die Regierung hat die EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung nicht umgesetzt und wird nun verklagt. Wahrscheinlich wird sie trotzdem nicht zahlen müssen.
D ie Frist ist abgelaufen. Deutschland muss nun definitiv mit einem Vertragsverletzungsverfahren rechnen, weil es die EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung nicht in nationales Recht umgesetzt hat.
So wollen es die EU-Verträge: Hält sich ein Land nicht an die gemeinsam Vverabschiedeten Regeln, wird es von der Hüterin der Verträge, der Europäischen Kommission, verklagt und muss – nach einem entsprechenden Urteil des Europäischen Gerichtshofs – ein Bußgeld bezahlen.
In diesem Falle sollte sich die deutsche Bundesjustizministerin von der Drohung aber nicht beeindrucken lassen. Die Speicherung von Kommunikationsdaten auf Vorrat ist nicht nur in Berlin umstritten. Und Deutschland ist nicht der einzige EU-Staat, der die Richtlinie bis jetzt noch nicht umgesetzt hat.
ist EU-Korrespondentin der taz.
Auch Schweden, die Tschechische Republik und Rumänien sind skeptisch. In Rumänien hat – wie in Deutschland – das Verfassungsgericht die Richtlinie kassiert. Irland hat die Richtlinie zwar befolgt, doch gleichzeitig beim Europäischen Gerichtshof angefragt, ob die Datenspeicherung tatsächlich mit dem Europäischen Datenschutz vereinbar ist. Das Urteil steht noch aus.
Dank der Mühlen der Verwaltung Und sogar die Europäische Kommission selbst zweifelt an der eigenen Richtlinie: Sie hat im vergangenen Jahr eine Untersuchung eingeleitet, die zeigen soll, ob die Datenspeicherung überhaupt etwas bringt. Im Sommer will die Behörde dann entscheiden, ob die bestehende Richtlinie überarbeitet werden soll.
Zwar ist es unwahrscheinlich, dass sie die Vorratsdatenspeicherung ganz über den Haufen wirft, aber sobald eine Revision der Richtlinie eingeleitet wird, werden Vertragsverletzungsverfahren ausgesetzt. Deutschland riskiert also recht wenig, wenn es sich noch etwas Zeit lässt mit der Umsetzung. Denn Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof dauern in aller Regel länger als zwei, drei Monate. Und Strafzahlungen werden bis dahin nicht fällig.
Auch Deutschland hat 2006 der EU-Vorratsdatenspeicherung zugestimmt. Aber Politiker sollten den Mut haben, Regeln in Frage zu stellen, wenn sie – sechs Jahre nach der Einführung – an deren Sinn zweifeln. Drohende Strafzahlungen dürfen das nicht verhindern.
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