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Kommentar VogelgrippeDie Seuche des globalen Tierhandels

Kommentar von Hanna Gersmann

Die Vogelgrippe wird weitgehend ingnoriert. Doch für Gelassenheit ist es viel zu früh.

Bild: taz

HANNA GERSMANN ist Umweltredakteurin der taz.

Der alte Bekannte H5N1 ist in Deutschland wieder aufgetaucht. In Brandenburg hat das Vogelgrippen-Virus innerhalb von zehn Tagen zum dritten Mal zugeschlagen. Doch diesmal bleibt die Hysterie aus. Es ist beunruhigend ruhig.

Rückblick: Rügen, Februar 2006. Politiker fordern Soldaten an, die in weißen Schutzanzügen Kadaver in Plastiktüten stopfen. Chefredakteure schicken ihre Reporter und Kamerateams los. Nur wer gute Nerven hat, bekommt bei den Bildern keine Angst. Dann stornieren Touristen ihre Buchungen. Deutschland redet über Tamiflu, das Medikament, das den Menschen vor dem Virus schützen soll. Der Hersteller kommt mit der Produktion nicht mehr hinterher, mit dem Geldverdienen auch nicht.

Diese Panik hat nur wenigen geholfen - und vor allem hat sie abgelenkt. Die Vogelgrippe war nie eine große Gefahr für die Gesundheit von Eier- oder Broilerliebhabern. Bis heute sind an H5N1 weltweit gut 200 Menschen gestorben. An der schnöden Menschengrippe sterben allein in Deutschland jedes Jahr gut 10.000. Leichtfertig stellen Politiker und Journalisten die Risiken falsch dar. Sie ignorieren die statistischen Erkenntnisse, weil das Fremde und Unbekannte so viel interessanter wirkt. Doch nach dem ersten Panikschub ist die Angst bei den meisten wieder verflogen. Inzwischen hat fast jeder verstanden, dass die Seuche nicht ihn betrifft. Also wird die Vogelgrippe gelangweilt abgehakt - doch dafür ist es viel zu früh.

Denn es bleibt beunruhigend, dass noch immer ungeklärt ist, wie sich diese hochinfektiöse Tierseuche verbreitet. Inzwischen spricht viel dafür, dass der Virus nicht nur durch Zugvögel übertragen wird. Es könnte gut sein, dass sich die Bauern die Seuche selbst auf den Hof holen - über den globalen Handel von Bruteiern, Küken und Geflügelprodukten. Zudem verschachern die Besitzer der Hühnerfabriken den Kot sorglos als Fischfutter. Die gnadenlose Industrialisierung der Geflügelhaltung ist das eigentliche Thema der Vogelgrippe. Über Alternativen zu reden, lohnt sich noch immer.

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taz-Autorin
War von 2002 bis 2013 in der taz, leitete dort zuletzt das Inlandsressort. Jetzt gehört sie zum Büro die-korrespondenten.de im Haus der Bundespressekonferenz in Berlin. Sie schreibt vor allem über Umwelt-, Verbraucher- und Wirtschaftspolitik.
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1 Kommentar

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  • DW
    Dipl.-Ing. Wilfried Soddemann

    Die jährlich 10.000 Grippetoten sind eine Phantasie der Impfstoffhersteller. Tatsächlich waren es in Deutschland im Mittel der letzten 5 Jahre 170 Grippetote je Saison. Quelle: Statistisches Bundesamt Wiesbaden. Der Trick der Impfstoffhersteller: Alle bakteriellen Lungenentzündungstoten werden der viralen Influenza zugerechnet.