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Kommentar Visumfreiheit für die TürkeiDas falsche Druckmittel

Pascal Beucker
Kommentar von Pascal Beucker

Die EU hätte der Türkei schon vor dem Flüchtlingsdeal Visumfreiheit gewähren müssen. Um Druck auf Erdoğan auszuüben, gibt es bessere Maßnahmen.

2,9 Millionen Menschen mit türkischen Wurzlen leben in Deutschland – ihre Verwandten sollten sie ohne Aufwand besuchen dürfen Foto: dpa

K eine Frage, der Flüchtlingspakt mit der Türkei ist ein schmutziger. Der Deal mit dem repressiven Erdoğan-Regime zur Abwehr von Menschen, die aus ihren Heimatländern fliehen, lässt sich jedenfalls nur schwer mit jener „wertebasierten Außenpolitik“ vereinbaren, von der die Bundesregierung so gerne spricht. Deshalb ist es eigentlich ein Grund zur Freude, wenn nun die Türkei droht, das Abkommen aufzukündigen, falls die EU nicht bis Oktober zur ­Visumliberalisierung für türkische Staatsangehörige bereit ist.

Was für eine hervorragende Gelegenheit, den miesen Deal zu kippen! Doch so einfach ist es nicht. Schon die Gewährung von Reiseerleichterungen zum Verhandlungsgegenstand zu machen war grundfalsch. Damit wurde dem türkischen Autokraten etwas in Aussicht gestellt, was er als politischen Erfolg hätte verkaufen können.

Dass es die Visumfreiheit nicht längst gibt, ist ein Versagen der deutschen und der europäischen Politik – unabhängig vom EU-Türkei-Deal. Die Bundesrepublik wäre es allein schon den knapp 2,9 Millionen hier lebenden Menschen mit türkischen Wurzeln schuldig. Es ist unwürdig, welch schikanösen bürokratischen Aufwand deren Verwandte in der Türkei betreiben müssen, um ihre Angehörigen zu besuchen. Außerdem gibt es keinen Grund, warum für Menschen aus der Türkei andere Regeln gelten sollen als für Deutsche, die in die Türkei reisen wollen.

Angesichts der aktuellen Repres­sions­welle müsste die Visumfreiheit eigentlich das Gebot der Stunde sein. Denn sie würde vor allem denen dienen, die unter der Herrschaft Erdoğans leiden. Wer in der – berechtigten – Sorge ist, dass sich die Verhältnisse am Bosporus weiter in Richtung Diktatur entwickeln, der darf es den verfolgten JuristInnen, DozentInnen, JournalistInnen oder KünstlerInnen nicht auch noch unnötig schwer machen, sich in Sicherheit zu bringen.

Um Druck auf Erdoğan auszuüben, würden sich wirkungsvollere Mittel als die Verweigerung der Visumfreiheit anbieten – vom sofortigen Stopp aller Waffenlieferungen bis zu harten Wirtschaftssanktionen. Doch davon ist bisher keine Rede. Denn das würde tatsächlich das EU-Türkei-Abkommen riskieren. Am Ende könnte es dazu kommen, dass der Deal hält, ohne dass die Visumfreiheit kommt. Das wäre die denkbar schlechteste Variante.

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Pascal Beucker
Inlandsredakteur
Jahrgang 1966. Arbeitet seit 2014 als Redakteur im Inlandsressort und gehört dem Parlamentsbüro der taz an. Zuvor fünfzehn Jahre taz-Korrespondent in Nordrhein-Westfalen. Seit 2018 im Vorstand der taz-Genossenschaft. Sein neues Buch "Pazifismus - ein Irrweg?" ist gerade im Kohlhammer Verlag erschienen.
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15 Kommentare

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  • Nun Herr Beucker, ich bin da ganz Ihrer Meinung.

     

    Was mich freilich erstaunt: Die Mehrheit der TAZ-Leserschaft outet sich hierals sanktionsbegeisterte Kriegstreiber, die sich völlig einig sind mit Leuten wie diesem grausligen Elmar Brok ... bis vor Kurzem hätte ich das Gegenteil vermutet.

  • "Wertebasierte Aussenpolitik" bedeutet wohl billiger Urlaub in Antalya und billige Arbeitskräfte in Deutschland.

  • Also ich bin für die Visafreiheit, weil sie vielen Kurden die Ausreise aus der Türkei ermöglichen würde. Und da Deutschland schon immer die Unterdrückung dieser Volksgruppe dort ignoriert, um ihnen vielfach Asyl in Deutschland geben zu müssen, wäre es für das Überleben der Kurden ein großer Fortschritt. Und wie viele Kurden leben in der Türkei? Viele Menschen sagen ja, das sei eine kleine, unbedeutende Gruppe, die sich nicht gegen das türkische Militär oder gegen den türkischen Staat wehren kann? Die Schätzungen schwanken zwischen 14 bis 22 Mio. Menschen. Und bei all dem Zynismus, den sich die EU in den letzten Jahren gegenüber den Opfern der repressiven Minderheitenpolitik herausgenommen hat, geschähe es nur recht, wenn von dieser Gruppe jetzt möglichst viele und möglichst rasch das Land verlassen könnten. Und wie sieht es in Hakkari, in Cizre und anderen Ortschaften denn aus? Dort zerlegt das Militär jedes Haus, schießt auf alles, was sich bewegt, tötet Kinder, Alte, Junge, Tiere - vollkommen egal. Ich kann verstehen, dass gerade in Deutschland die ersten Kurden ihre positiven Bescheide erhalten. Von den Gerichten, nicht von unserer Regierung - der sind diese Menschen egal. Sonst gäbe es diesen schmutzigen Deal doch gar nicht.

  • "sofortigen Stopp aller Waffenlieferungen" ... und dann?

     

    Ob Vladi wohl ähnliche moralische Bedenken bei Waffenlieferungen an die Türkei hätte?

    • @Eichet:

      Das wäre dann sein Problem. Wir sind nur für unsere Moral zuständig.

  • Es ist ja nicht so, dass mit dem Putsch eine völlig neue Situation entstanden wäre. Erdogan hat schon vorher am Abbau der Demokratie gearbeitet. Der Putsch wirkt nur als (willkommener) Beschleuniger. Die Visafreiheit hätte deshalb nie angeboten werden dürfen. Oppositionellen aus der Türkei hilft sie eh wenig, da die Türkei die Ausreise blockiert. In der jetzigen Situation Erdogan Zugeständnisse zu machen, wäre nur eine Ermunterung, seinen Kurs fortzusetzen.

     

    Bleibt die Frage, ob die Visafreiheit schon viel früher hätte kommen müssen. Die Antwort ist eindeutig Nein. Denn es gibt Bedingungen dafür, die nie eingehalten wurden. Das ändert sich auch nicht dadurch, dass die Türkei auf Visa verzichtet, um Touristen anzulocken.

     

    Nebenbei versucht Erdogan massiv, die hier lebenden Türken vor seinen Karren zu spannen. Das muss man ihm nicht auch noch erleichtern.

  • 3G
    32795 (Profil gelöscht)

    "Außerdem gibt es keinen Grund, warum für Menschen aus der Türkei andere Regeln gelten sollen als für Deutsche, die in die Türkei reisen wollen."

     

    Das ist zu kutz gegriffen. Wer in den Schengenraum kommt kann im Schengenraum weitgehend unkontrolliert reisen. Daher ist die Visafreiheit Sache der EU. Auf der Ebene ist da aber nichts zu machen, die Osteuropäer mauern lieber ihre Grenzen zu als den Türken Visafreiheit zu gewähren.

     

    Ferner steht ein unausgesprochener Verdacht im Raum. Wenn die Visumfreiheit kommt könnte ein unredlicher türkischer Präsident damit beginnen die Kurden massenhaft zu vertreiben.

    Das Argument der Gerechtigkeit ist schön und gut. Es könnte aber auch auf Beihilfe zur Massendeportation hinauslaufen. Erdogan hat derzeit kein Interesse an der Verteibung der Kurden, er würde damit nur Millionen Binnenflüchtlinge produzieren. Mit der Visafreiheit wäre das plötzlich sehr viel einfacher.

    Wer glaubt Erdogan wolle nur Gerechtigkeit und den innenpolitischen Propagandavorteil könnte weit daneben liegen.

    Bei der derzeitigen türkischen Regierung kann keine solche Regelung in Kraft gesetzt werden, das wäre fahrlässig.

     

    Auch das Argument der verfolgten Regimegegner ist falsch. Erdogan lässt diese nicht ausreisen, Visaerleichterungen bringen da wenig. Selbst wenn es es visafreie Einreise gäbe und eine Ausreise gelänge bringt das den Betroffenen wenig, auch eine visafreie Einreise bedeutet nur Aufenthalt für sehr begrenzte Zeit. Ich sehe hier in D auch nicht die Bereitschaft Asyl zu gewähren, man will hier keine Regimegegner die den Sultan von hier aus "provozieren".

     

    Ich spekuliere jetzt einmal. Die EU rüstet wohl gerade zur großen "Flüchtlingsabwehr" an den Grenzen und lässt den Deal mit der Türkei platzen sobald die Abwehr steht...

  • Zu glauben das wenn der Flüchtlingsdeal platzt es wird wie im Sommer 2015 ist naiv. Die Grenzen würden nicht geöffnet werden. Kein Politiker in Europa ist in der Lage dafür ein Mandat zu erhalten.

  • "Stopp aller Waffenlieferungen" klingt super. Aber machen da die Asiaten mt? Die Russen? Aus Europa kriegen die Turks ja nicht mehr so wahnsinnig viel. Da scheint ein Stopp des Visumsfreiheitsabkommens Herrn E. dann doch mehr zu beeinflussen.

    • @Chutriella:

      Seltsam! Hat bei der Verhängung von Sanktionen gegen Russland etwa irgendjemand gefragt, ob die Asiaten da mitmachen?

  • Standard & Poors zeigt wie es geht...

    http://www.tagesschau.de/wirtschaft/tuerkei-rating-101.html

  • "Angesichts der aktuellen Repressionswelle müsste die Visumfreiheit eigentlich das Gebot der Stunde sein. "

     

    Nee !

     

    Es sollte sogar verschärft werden. Erdogan Diktatur Freunde und Wähler nicht auch noch belohnen - genau das Gegenteil sollte geschehen.

    Es muss weh tun eine Diktatur zu etablieren.

  • Wo der Pascal Beucker recht hat, hat er recht. Wenn Erdogan seinen Landsleuten schon das Leben unnötig schwer macht, müssen andere das ja nicht auch noch. Man muss allerdings befürchten, dass Erdogan trotz Visumfreiheit nicht allen die Ausreise erlauben wird.