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Kommentar Visegrád-StaatenUngarn ist nicht die EU-Bremse

Kommentar von Gergely Márton

Ungarn ist nicht für den Niedergang der Demokratie in Europa verantwortlich. Die Hälfte der Wähler hat für mehr Europa gestimmt.

Ungarns Viktor Orbán ist fest überzeugt, dass er und Ungarn quasi identisch sind Foto: ap

V iktor Orbán tut gerne so, als sei seine Meinung die Meinung Ungarns und ein Angriff auf seine Politik ein Angriff auf das ganze Land. Anscheinend folgt die taz ihm: Auf der Titelseite machte ein Kommentar den „neuen Ostblock“ für den Abbau der europäischen Demokratie verantwortlich. Die Schlussfolgerung: „Mit der großen Erweiterung 2004 hat man sich Mitglieder mit einer anderen Geschichte und anderen Prioritäten eingekauft, die an einer Vertiefung der EU kein Interesse haben“.

Ich reibe mir immer noch die Augen. Auch wir Ungarn haben am 26. Mai gewählt, und die Hälfte der Stimmen ging an Parteien, die mehr Europa haben wollen. Viele Bürger hoffen auf eine Wertegemeinschaft, die sie vor der Willkür ihres Ministerpräsidenten schützt. Leider war das bisher nicht der Fall, weil die CDU innerhalb der Europäischen Volkspartei an Orbáns populistischer Truppe festhielt. Und ja, gut zwei Mil­lionen Ungarn sind einem skrupellosen Volksverführer verfallen. Orbán hat vor den Augen Europas die Gesetze so umgeschrieben, dass ein Viertel aller Wahlberechtigten ihm auf lange Sicht die absolute Mehrheit sichert. Aber sind wir deswegen die Bremser Europas?

Die Ungarn hätten die europäische Verfassung mitgetragen, die an den zwei Gründungsmitgliedern Frankreich und Holland scheiterte. Und wenn jemand ein Land sucht, das gegen den Willen und die Interessen der restlichen EU handelt, dann lohnt es sich, gen Westen zu schauen, nach Großbritannien. Und sind es nicht die deutschen Wähler, die fast ein Dutzend Abgeordnete nach Strasbourg mit dem Auftrag schicken, das Parlament abzuschaffen?

Von den neu vergebenen fünf Chefsesseln gingen vier an die sechs Gründungsmitglieder der Union. Kein Land, das nach 1986 „eingekauft“ wurde, durfte einen Kandidaten vorschlagen. Trotzdem haben alle 16 Staaten den Deal abgesegnet. Dass ausgerechnet Viktor Orbán dabei treibende Kraft war, ist eine bittere Pointe: Der Mann gilt zu Recht als destruktiv. Man sollte ihm nicht die Lösung der europäischen Probleme anvertrauen.

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7 Kommentare

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  • Ja man könnte ja diese Eingliederung der osteuropäischen Staaten korigieren zumindest für die Staaten die sich nicht wohl fühlen und lieber eine eigene EU bevorzugen! Dann gewinnt die Bezeichnung "europöische union" eine ganz neue Qualität!

  • Nur ganz Engstirnige verbinden ein ganzes Volk mit einer irren Regierung, die herrscht. Aber es stimmt, dass ein Volk sich verantwortlich fühlen muss für den Unsinn oder gar die Verbrechen, die seine gewählte Regierung begeht. So wird Deutschland auch noch für sehr lange Zeit das Erbe der Nazis anhaften.

    Anders ist die Sache bei unrechtmäßig an der Macht befindlichen Regierungen. Wer will das koreanische Volk für die Verbrechen verantwortlich machen, die dessen diktatorischer Machtapparat an ihm begeht? Oder die Chinesen oder …

    Aber die Ungarn haben eben Orban mehrheitlich gewählt - sowie auch Trump, Putin, Erdo, die Kaczynski-Follower und viele andere Zwingherren.

    Darf man Schlimme Geschehnisse bei einem Volk mit positive Ereignisse aufwiegen? Ich glaube nicht! Ungarn in seinerMehrheit hatte positive Aspekte in der Vergangenheit, aber damit kann man doch den deryeitigen Despoten nicht im geringsten entschuldigen! Ebenso ist eine Entschuldigung kleinstirnig, wenn man Fehler bei anderen hinweist. Und wenn die Anzahl von Parlamentariern und 'Chefsesseln' nicht in etwa mit der Zahl von Einwohnern der Länder korrespondieren würde, wäre doch auch nichts gewonnen!

  • Doch ist es wohl ! Und wenn nicht auch egal ! Und das Ungarn mit Orban einen schauerlichen Despoten a la Entwicklungsland hat wird wohl niemand leugnen. Und in genau ein solches wird dieser Ungarn auch verwandeln. Das solche Figuren gewählt werden ist ein geistiges Armutszeugnis. Identitäres geistiges Flachland.

  • Die Formulierung, man habe sich mit der Osterweiterung Mitglieder "eingekauft", die kein Interesse an weiterer Integration hätten, ist unterirdisch. Nicht nur diskreditiert sie pauschal ganze Nationen und Bevölkerungen und unterstellt ihnen Käuflichkeit, sie entlarvt darüber hinaus auch Herr Leonhards feudalistisch geprägtes Europabild: Hier die EU, der Lehnsherr, der viel Geld bezahlt, um bestimmte Dienstleistungen zu erhalten, und dort die Vasallen, die nach geleisteter Zahlung gefälligst die Interessen ihres Eigentümers zu vertreten haben.

    Tatsächlich dürfte ein Großteil der Technokraten in der EU ein ähnliches Europabild haben, weshalb es mich dann auch nicht wundert, dass immer mehr Mitglieder aus der europäischen Marschkolonne ausscheren und ihre eigenen Wege gehen, indem sie der EU den Rücken kehren oder sich für autoritäre Politik und nationalistische Politiker entscheiden.

    Dass sie sich dadurch selbst ausliefern, nach und nach immer weitere Freiheitsrechte aufgeben und langfristig gesellschaftliche Spaltung und wirtschaftlichen Abstieg riskieren, dürfte den meisten wohl durchaus bewusst sein.

    Aber die Vorstellung, dem verhassten Lehnsherren einmal so richtig schön den Stinkefinger zu zeigen und ihm den Mitgliedsausweis vor die Füße zu werfen, scheint es ihnen am Ende doch wert zu sein.

    Wer will schon im 21. Jahrhundert als Vasall behandelt werden?

  • Bei der Eingliederung der ehemaligen Ostblock Staaten in die Europäische Union, sind offensichtlich einige schwer wiegende Fehler unterlaufen, die noch schwerer zu korrigieren sind und auch bis heute 2019 in Brüssel offensichtlich immer noch kein angemessenes Gehör finden.

    Da es sich bei der Europäischen Union um eine Nachfolge Vereinigung der Wirtschaftsvereinigungen der alten ehemaligen Montan-Union handelt, sind die Biographien der Menschen die in einem Wirtschaftssystem des "Volkseigentum" gelebt haben mit all ihren sozialen Orientierungspunkten unter den Tisch gefallen.

    Aus meiner Sicht ist die Europäische Union mit ihren 28 Mitgliedsländern und 512 Millionen Europäern nur ein Teil der 50 Länder mit 700 Millionen Europäern die auf unserem ganzen Europäischen Kontinent leben.

    Dem Grundgedanken folgend das ja Europa einen ganzen Kontinent umfasst, so scheint es sinnvoll für die Zukunft der Europäischen Union als Kontinent, den Aufbau einer freien Sozialwirtschaft der Mitarbeiter/innen Unternehmen gleichermaßen wie die Kapitalwirtschaft zu fördern.

    Ich halte dies für einen notwendigen Schritt der Balance durch Ausgewogenheit in der sozialpolitischen Entwicklung unseres Europäischen Kontinent und zum dauerhaften Erhalt des sozialen Friedens.

  • Die vergessenen Demokraten in Osteuropa



    Diese fast schon verzweifelte Stimme aus Ungarn zeigt den selbstgerechten Gründungseuropäern deutlich auf, dass unser Denken hoffnungslos vom Denken in nationalen Dimensionen befallen ist. Ungarn = Orban, diese gefährliche Gleichung spielt sich leider in unser aller Köpfen ab.

    Zum Glück erinnert uns hier jemand daran , dass große Teile der ungarischen Bevölkerung eben nicht Fides gewählt haben, sondern auf ein europäisches Ungarn hoffen. Und viel zu spät fällt es uns dabei ein, dass auch viele Polen Katschinskis Kurs nicht mitmachen wollen und dass sich erst vor wenigen Tagen eine sechsstellige Zahl von Demonstranten in Prag gegen ihren Milliardärspräsidenten und gegen dessen Abgreifen von EU-Geldern verwahrt haben.

    Wenn wir endlich aufhören, die Menschen in Europa mit ihrem Staats- oder Regierungschef in einen Topf zu werfen, leisten wir einen größeren Beitrag zur Idee von einem parlamentarische gesteuerten Europa als etwa durch formale eine Ernennung von Spitzenkandidaten zum Kommissionspräsidenten.







    Die bisher übliche und auch aktuell wieder demonstrierte Dominanz des EU-Rates gegenüber dem Parlament und der Kommission führt zwangsläufig zur Aufwertung von Leuuten, die alles andere im Sinn haben als ein demokratisches -Europa.

  • Die vergessenen Demokraten in Osteuropa



    Diese fast schon verzweifelte Stimme aus Ungarn zeigt den selbstgerechten Gründungseuropäern deutlich auf, dass unser Denken hoffnungslos vom Denken in nationalen Dimensionen befallen ist. Ungarn = Orban, diese gefährliche Gleichung spielt sich leider in unser aller Köpfen ab.

    Zum Glück erinnert uns hier jemand daran , dass große Teile der ungarischen Bevölkerung eben nicht Fides gewählt haben, sondern auf ein europäisches Ungarn hoffen. Und viel zu spät fällt es uns dabei ein, dass auch viele Polen Katschinskis Kurs nicht mitmachen wollen und dass sich erst vor wenigen Tagen eine sechsstellige Zahl von Demonstranten in Prag gegen ihren Milliardärspräsidenten und gegen dessen Abgreifen von EU-Geldern verwahrt haben.

    Wenn wir endlich aufhören, die Menschen in Europa mit ihrem Staats- oder Regierungschef in einen Topf zu werfen, leisten wir einen größeren Beitrag zur Idee von einem parlamentarische gesteuerten Europa als etwa durch formale eine Ernennung von Spitzenkandidaten zum Kommissionspräsidenten.







    Die bisher übliche und auch aktuell wieder demonstrierte Dominanz des EU-Rates gegenüber dem Parlament und der Kommission führt zwangsläufig zur Aufwertung von Leuuten, die alles andere im Sinn haben als ein demokratisches -Europa.